Schreiende Tänzer, schweigende Lämmer

Meg Stuarts Monster-Stück „Replacement“ an der Volksbühne

Berlin, 13/01/2006

Meg Stuarts letzter Auftritt in Berlin mit dem Improvisationsprojekt „Auf den Tisch“ beim Tanz im August 2005 ist katastrophal gescheitert und hat (deshalb?) von der Kritik kaum Beachtung gefunden. Ganz anders ist es bei „Replacement“: Große Erwartungen lagen auf dieser ersten Arbeit als Choreographin an der Berliner Volksbühne.

Das interessant konzipierte Bühnenbild von Barbara Ehnes in Form eines nach vorne offenen Zylinders, in den ein sechseckiges, rudimentär eingerichtetes Wohnzimmer eingebaut ist, lässt hoffen. Die Bühne wird zum großen menschlichen Versuchslabor, in dem sich die acht Performer der „Kompanie“ Damaged Goods – die Mehrzahl arbeitet zum ersten Mal mit Stuart – gegenseitig als Testpersonen in ständig vertauschten Täter-Opfer-Rollen unter der Kontrolle eines Versuchsleiters aus dem Off betätigen. Das Monströse der menschlichen Kreatur soll zum Vorschein kommen und das tut es denn auch, allerdings in ziemlich platten Klischees, die das Monströse folgendermaßen reduzieren: Die menschlichen Experimente zeigen Gewalt und Horrorbilder, die Bewegungen variieren zwischen Drogenrausch, epileptischem Anfall, Behinderung und Maschinenmensch (wobei letzterem doch einige interessante Momente abzugewinnen sind).

Auch das von Stuart bekannte hysterische Schreien, das mit voraussehbarer Regelmäßigkeit in hysterisches Lachen übergeht, gehört zum plakativen Monströsen und langweilt nach einer Stunde ebenso wie die videoprojizierten Horrorbilder. Der Videokünstler Chris Kondek zeigt zum Beispiel eine Frau, deren Gesicht von Tag 1 bis Tag 100 schrittweise verstümmelt wird, das Schlachten von Tieren oder eine Frau, die Feuer fängt. Während des Experiments gibt es keine dramaturgische Steigerung oder Zurücknahme, zwischen Anfang und Ende reihen sich Szenen aneinander, deren Entwicklung allenfalls an wachsender Brutalität und zunehmender Speed festgemacht werden kann.

Die Geschwindigkeit, mit der Stuart die Welt mit Gewalt auf den Kopf stellt, steigert sich zumindest in einer Phase auf originelle Weise, wenn das ins Rad gebaute Eigenheim sich zu drehen beginnt und schließlich Kopf steht, während die Performer, die zu jeder Zeit 150 Prozent Einsatz zeigen, an den Wänden herunterrutschen, Halt suchen, von der Decke herabhängen und sich bis an ihre Grenze verausgaben. Aber dann wird auch diese Phase überreizt. Manchmal wäre weniger mehr: Bekanntlich nimmt man das Humpeln eines Schauspielers erst dann als solches wahr, wenn er dieses Humpeln dann und wann gezielt einsetzt. Bei Meg Stuart hingegen sind die endlosen verzerrten Bewegungen so übertrieben, dass der Zuschauer ihrer bald überdrüssig wird.

Am Schluss bleiben acht Gestalten übrig, die so aussehen, als hätte man Jugendliche aus den 1980er Jahren danach gefragt, wie sie sich ein Monster vorstellen: affenartige Monstermaske, lange Haare, Lederklamotten von Altrockern und Cowboystiefel. Aber das lässt in der Zwischenzeit sowieso kalt, denn man ist des Schauens und Hörens müde. Besonders sinnfällig wurde die allgemeine Abstumpfung an dem ungewöhnlichen Phänomen, dass das Publikum, nach eher kurzem Applaus, in völligem Schweigen wie eine Herde sedierter Schlachtlämmer aus dem Zuschauerraum trottete.

 

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