Mary Wigman-Gesellschaft hatte zur diesjährigen Tagung nach Dresden eingeladen

Vom Berühren und Berührtwerden

Dresden, 25/11/2006

„Der Tanz ist eine lebendige Sprache, die vom Menschen gesprochen wird und vom Menschen kündet...“ Es ist immer wieder Mary Wigman (1886-1973), mit der wir uns auseinandersetzen, geht es um den Modernen, den Zeitgenössischen Tanz, und ihr Leben und Wirken bietet reichlich Diskussionsstoff, weit über tanzhistorische, biografische Fragen hinaus. „Ohne Mary Wigman und ihre Schülerinnen und Schüler, wie Gret Palucca, Harald Kreutzberg, Hanya Holm, sähe die Gegenwart des Tanzes anders aus.“ Mit diesen Worten hatte die Mary Wigman-Gesellschaft - sie begeht 2006 ihr 20-jähriges Bestehen - zur diesjährigen Tagung nach Dresden eingeladen, und zusammengekommen ist ein illustrer Kreis von Tanzwissenschaftlern, -historikern, -kritikern, von Tänzern, Tanzpädagogen, Rhythmikern und Choreografen. Nicht in der ehemaligen Wigman-Schule, heute von der Sächsischen Staatsoper als „kleine szene“ genutzt, dafür aber in der neu und komfortabel ausgestatteten Palucca Schule. Eine schöne Geste, wenn man bedenkt, dass quasi Palucca Gastgeberin für die Wigman ist, sich die Hochschule weiter öffnet für eine Tradition, ohne die nachweislich der Tanz in der Gegenwart um vieles ärmer wäre.

Zum Auftakt gab es in der „kleinen szene“ einen Abend der Palucca Schule zum 120. Geburtstag von Mary Wigman, und die Ausschnitte aus der DVD „Die deutsche Tanzmoderne“ von Konrad Hirsch und Ralf Stabel sowie aus dem neu verlegten Buch „Mary Wigman. Eine Künstlerin in der Zeitenwende“ von Angela Rannow und Ralf Stabel boten gute Anknüpfungspunkte für nachfolgende Diskussionen. Besonders aber prägten sich Musik und Tanz in dieser Begegnung ein; Antje Ladstätter stellte beeindruckend intensiv Werke für Klavier von Kurt Schwaen vor; der Komponist war 1942 in Leipzig Korrepetitor im Unterricht der Wigman. Als er den Einberufungsbefehl erhielt, schrieb sie ihm etwas unsensibel, dass sein Fortbleiben „… nun auch für uns einer Katastrophe gleichkommt…“.

Mit dem unmittelbaren Eindruck des Publikums von der historischen „Hexentanz“-Aufnahme der Wigman auf der DVD hatte es die Tanzstudentin Noriko Melchior nicht leicht, das zu assoziieren, was an selbstzerstörerischer und aufrührender Kraft von der Wigman gerade zu sehen war. Dieses Stück, noch so gut getanzt, sperrt sich fast jeder Belebung, und in der nachempfundenen Choreografie von Holger Bey weicht es eher auf. Als einen Glücksfall kann man das Zusammentreffen von Susanne Linke und der Meisterschülerin Mareike Franz bezeichnen. Susanne Linke hat ihre eigene erfolgreiche Choreografie „Wandlung“ zu Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ - eine Hommage an die Wigman, deren Schülerin sie in Berlin war - auf die junge Tänzerin so übertragen, dass diese etwas Eigenes daraus machen konnte. Und das ist ihr wahr und berührend gelungen, hat sich unvergesslich eingeprägt.

Erinnern wird man sich auch daran, wie einstige Wigman- und Palucca-Schüler während der Tagung anschaulich Unterrichtsprinzipien demonstrierten. Susanne Linke beispielsweise sprach vom beglückenden Hochgefühl nach den Wigman-Stunden, und Arila Siegert schilderte, Palucca habe nicht erklärt, sondern konfrontiert, so dass sie damals häufig in ihrem Tagebuch notierte: „Wieder mal nichts verstanden.“ Aber diese einzigartigen Frauen haben ihre Schüler ohne jegliche Unterrichtsdogmen und -theorien vor allem dadurch geprägt, dass sie sie dazu brachten, sie selbst zu sein. Wie es auch Hellmut Gottschild, der letzte und jüngste Assistent der Wigman in Berlin, vorführte in seiner Demonstration „Vom Berühren und berührt werden“.

Allein schon die Vitalität und Persönlichkeit des in Philadelphia lebenden, 70-jährigen Tänzers spricht Bände, doch was er über Körper und Raum zu sagen hat oder über Berührung ist etwas Allgemeingültiges, und das nicht nur für Tanz. Übrigens hat sich Dresden - wovon sich die Tagungsteilnehmer bei einer Rundfahrt überzeugen konnten, die bis nach Hellerau führte - als Tanzstadt längst geoutet, zumindest in der Benennung von Straßennamen: Mary-Wigman-Straße, Gret-Palucca-Straße, Dore-Hoyer-Straße… Auch, was das Große, Ganze betrifft. Nur der Blick fürs Detail, für die vielen Einzelkämpfer in den Moderndisziplinien müsste noch etwas offener werden.
 

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