„María de Buenos Aires“ als Tango-Oper in Magdeburg

Ein musiktheatralisch „schwieriger Patient“

Magdeburg, 11/01/2006

Schwer hatte es der Tango, in Argentinien, mit Emigranten, Zuhältern, Prostituierten als Geburtshelfern, Fuß zu fassen. Während er in den Vorstädten begeisterte, lehnte ihn die Oberschicht als „Bordellreptil“ ab, bis der Erfolg dieses subtilen Konzentrats aus Tanzerotik, Textzorn und Musikschärfe besonders in Paris, freilich in geglätteter Salonform, seine Akzeptanz auch daheim erzwang.

Traditionalisten und Erneuerer kämpften fortan um den wahren Tango, Komponisten von Rang nahmen sich seiner an und leiteten jenes weltweite Tangofieber ein, das gut 100 Jahre schon anhält. Choreografen veredelten das Straßensubjekt zum Bühnensujet, Astor Piazzolla, der Tangorevolutionär, entwickelte die Musik von der Tanzbegleitung zum Hörprodukt, erhob sie zum Gegenstand oratorischen Musiktheaters.

Seit ihrer Uraufführung 1968 in Buenos Aires geistert seine Tango-Operita „María de Buenos Aires“ über die Bretter der Welt. Bevor sie Ende Januar auch die Komische Oper in Berlin betritt, macht sie Station in Magdeburg. Alle Aufführungsfrequenz täuscht nicht darüber hinweg, dass jene María zumindest in unseren Breiten ein musiktheatralisch „schwieriger Patient“ bleibt. Was der uruguayische Tangodichter Horacio Ferrer seinem Tondichter Piazzolla als überhöht surreale Textgrundlage kreierte, steckt voller poetischer Bilder, die sich in ihrer Geballtheit, ihren Verknüpfungen kaum szenisch umsetzen lassen.

Gonzalo Galguera, Magdeburgs designierter Ballettchef ab nächster Saison, stellte sich dem Wagnis einer Inszenierung dieses eher konzertanten Konstrukts – und dem Problem, den zwei Teilen des zweistündigen Werks mit seinen 17 Szenen eine durchlaufende Handlung zu geben, die den Textgehalt bedient und mit Substanz ausfüllt, wo er lediglich Denkgerüst ist. María gilt den beiden Ur-Autoren als Personifikation des Tango, beladen mit dessen Geschichte: vom Aufstieg über das Asyl in Bordellen und den Niedergang bis zur Wiedergeburt. Sie steht gleichsam als Leidensfigur christlichen Ausmaßes und assoziiert nicht nur im Namen die Mutter Gottes.

Hinter einer riesigen Rosette mit zerbrochenem Glas – schäbige Vorstadtkathedrale, Lagerhalle, Bahnhof – pilgern Einwanderer. María und El Duende, der Geist des Tango, erwarten auf einer Bank die Ankömmlinge, wie sie in unruhigen Gängen, mit Würfen, Spreiz- und Schleuderhebungen, extrem wie der Tango selbst, das Terrain sondieren. Gorrión, einer von ihnen, umwirbt María, wird von ihr, der „Rose Ich-liebe-dich-nicht“, jedoch abgelehnt. Sie, die zur Welt kam, als Gott betrunken war, und einen Fluch in ihrer Stimme trage, verliert sich an den Tango, wird seine Inkarnation, hält der Anbetung durch die Menschen nicht stand, sinkt wie ihre Musik in das Milieu ab, wo sich Frauen um ihre Galane prügeln.

Das Bandoneon mit seiner „Kugel im Atem“ treibt María in den Tod, auf dem Leichenzug auch für eine verblichene Illusion verbrennt man symbolisch eine weiße Puppe. – Im zweiten Teil geistert Marías Seele, beklagt von Gorrión und dem erhöhten Duende, durch die Stadt. Ihre Briefe an Bäume, Häuser rieseln ungelesen herab, die Menschen haben sich anderen Idolen zugewandt: Operettenmilitärs, umschwärmt von Evitas mit blondem Dutt, verspotten den Duende. Seine aufgezwungenen Uniformteile legt er sich als Kind an die Brust, und auch Marías Schatten erlebt eine mystische Niederkunft: Anstatt Jesus gebiert sie in Gegenwart dreier magischer Maurer ein Mädchen, die Hoffnung einer neuen María. Die Mutter mag vergessen sein – der Tango als ihre Hinterlassenschaft aber lebt.

Wie Galguera als Regisseur den spröden Stoff, die sperrig theaterfernen Texte und Piazzollas weniger an Tanz orientierte Musik zu einer nachvollziehbaren Geschichte zusammengedacht hat, nötigt Respekt ab. Die Folge aus ursprünglich nicht dramaturgisch verschweißten Musiknummern ermöglichte ihm eine Stückinterpretation, die Piazzollas als Milonga, Ballade, Fuge, Walzer, Toccata, Romanze, Allegro Tangabile, Tangus Dei benannte Tangoimpressionen bildhaft klammert.

Dass die je fünf Tänzer- und Chorpaare in den besten Momenten als Einheit wirken, schlägt als Haben zu Buche. Enrique Keils Duende im weißen Anzug spricht seine Rolle nuanciert, Alejandro Briglia, auch er Gast in Magdeburg, ist ein feinstimmiger, sanfter Gorrión. Schwachpunkt der Aufführung, der man insgesamt Reife wünscht, bleibt Andrea Thelemanns María: mit warm timbriertem Mezzo, doch ohne überzeugenden darstellerischen Gestus. Was ihre Figur hätte sein können, demonstriert im zweiten Teil sprechend und mit Körperpräsenz Celia Millan als Marías Seele. Juan Leóns Bühne, Pascale Arndtz‘ Kostüme, das Klanggewölk der Magdeburgischen Philharmonie unter Rainer Roos und mit Bettina Hartl als mitagierender Gast-Bandoneonistin sowie das Magdeburger Ballett in seiner Tango auf Spitze stellenden Choreografie bieten ihr den Rahmen für eine Entwicklung.

 

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