Wenn die große Emotion alles andere überstrahlt

John Crankos „Onegin“ in der Wiener Staatsoper

Wien, 10/04/2006

Sue Jin Kang ist Tatjana und Jiri Jelinek ihr Onegin: Mit solch einem Paar, das in nahezu jeder Minute Puschkins fatale Liebesgeschichte vom einander-nicht-Erreichen tänzerisch bravourös erzählt, erreicht John Crankos „Onegin“ auch heute an der Staatsoper noch das, was der Choreograf 1965 wohl intendiert hatte: Großer dramatischer Schautanz innerhalb dessen sich ein stringentes Kammerspiel feinster Prägung, wenn auch aus heutiger Sicht mit abschnittweise überkommener Choreografie, abspielt. Der gewiefte Südafrikaner Cranko mit englischem Timbre, der 1973 starb, hinterließ einige der schönsten, wenngleich dem 19. Jahrhundert verhafteten Ballett-Partituren.Das Corps de ballet, das in seinem „Onegin“ mit der von Kurt-Heinz Stolze instrumentierten, von Vello Pähn sicher dirigierten Musik von Tschaikowsky mit Walzer, Mazurka und Polonaise befasst ist, stellt Atmosphäre und Füllung für das ineinander verstrickte Quartett dar: Lenski (Eno Peci), der verträumte Dichter. Olga (Maria Yakovleva), die Unerfahrene. Tatjana (Sue Jin Kang), die heiß Liebende, die letztlich dem Verstand folgt. Und Onegin (Jiri Jelinek), der Dandy, der sich aus Anstand duelliert und zu spät seinen Gefühlen Lauf lässt. Fürst Gremin (Wolfgang Grascher) bietet Tatjana Halt.

Aus den Geboten von Moral und Räson und den dagegen stürzenden Emotionen hat Cranko für seinen „Onegin“ beredt-emotionale Pas de deux, darunter jener berühmte vor dem Spiegel, erfunden. Seiner Sprache sind die beiden exzellenten „Stuttgarter“, die die Wiener Premiere tanzten, Kang, vor allem aber Jelinek, kundig. Sie ist eine zarte Persönlichkeit, die die Transformation der Tatjana vom scheuen Mädchen zur sinnvoll handelnden Frau sichtbar macht. Er ist ein groß gewachsener, sehr guter Tänzer mit harmonischer Linie, viel Sprung- und Drehvermögen und überzeugender Interpretation. Schade, dass in Wien nicht in Jürgen Roses Original-Ausstattung getanzt wird. Die tänzerische Beredsamkeit aber müsste sich im Ensemble, eventuell mit wiederholter Hilfe, nach und nach einstellen. 

Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

 

Kommentare

Noch keine Beiträge