Der Theater-Guru des Schönheitskults

„Absolute Wilson“ - ein Film über den amerikanischen Global-Player

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Stuttgart, 18/10/2006

Kennengelernt habe ich ihn 1964 bei meinem ersten Aufenthalt in New York, da war er also gerade dreiundzwanzig, ein texanischer Nobody aus der Provinz – offenbar hochbegabt, denn er gehörte bereits zu dem Kreis der Auserwählten um Edwin Denby, den großen amerikanischen Ballettkritiker, in dessen ziemlich heruntergekommenen Loft in Soho man die halbe Avantgarde des Big Apple treffen konnte: Merce Cunningham, Paul Taylor, Robert Rauschenberg, Andy Warhol und all die Pioniere der Judson Church Movement. Später sind wir uns bei Hermann Wünsche in Bonn wiederbegegnet, einem jungen Galeristen, der zwischen der Rheinmetropole und New York hin und her jettete und immer wieder irgendwelche Neuentdeckungen nach Deutschland holte. Inzwischen ist Wilson fünfundsechzig und ein Welt-Guru des Theaters, dessen Performances ein ständiges Grenzüberschreiten zwischen den Gattungen von Drama, Oper, Tanz, Architektur, Malerei und Beleuchtungsdesign sind, ein Artist des theatralischen L‘art pour l‘art, der Hohepriester einer Schönheit, die sich selbst genug ist, zelebriert in einem Ritual, das die Zeit dispensiert.

Damals, 1964, hatte er noch keine seiner Produktionen kreiert, die ihn dann weltberühmt gemacht haben: „Deafman Glance“, „The Life and Times of Sigmund Freud“, „Einstein on the Beach“, „CIVIL warS“, „Black Rider“ und wie sie alle heißen. Heute arbeitet er vorwiegend als Opernregisseur, hat in Stuttgart „Alceste“ von Gluck inszeniert (leider ohne die anfangs angekündigte Jessye Norman) und in Zürich den „Ring des Nibelungen“. Was mich immer wieder an ihm fasziniert hat, ist sein Umgang mit der Choreografie – alle seine Inszenierungen scheinen choreografiert zu sein. Dabei versteht er sich selbst keineswegs als Choreograf, sondern arbeitet immer mit anderen Choreografen zusammen, anfangs wiederholt mit Andy de Groat, dann jahrelang mit Lucinda Childs, in der Stuttgarter „Alceste“ von 1986 mit der Japanerin Suzushi Hanayagi, im Zürcher „Ring“ mit Gudrun Hartmann. Darin unterscheidet er sich nicht zuletzt von dem ihm oft ähnlichen Achim Freyer, der seine Inszenierungen immer selbst choreografiert (und in seiner Bewegungserfindung meist so unbeholfen wirkt). Wie „Bob“ Wilson die Bewegungsabläufe seiner Darsteller in äußerster Langsamkeit zelebriert, das evoziert eine geradezu mystische Stimmung, wie sie mir von keinem anderen Theatermann bekannt ist.

Jetzt macht ein Film „Absolute Wilson“ die Runde durch unsere Kinos, der einen glänzenden Eindruck von seiner Persönlichkeit und seiner Arbeit vermittelt. Er stammt von Katharina Otto-Bernstein, die auch Autorin des gleichnamigen Prachtbandes über ihn ist. Leute, die so schönheitstrunken sind wie ich es bin, sollten sich ihn nicht entgehen lassen! Ich hätte mir allerdings einen stimmigeren Titel vorstellen können: „Magic Wilson“.

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