Der kleine Unterschied

John Neumeiers „Parzival - Episoden und Echo“, uraufgeführt im Festspielhaus

oe
Baden-Baden, 24/11/2006

Z und v oder f, das ist hier die Frage. „Parzival“ nennt John Neumeier sein neuestes Ballett – nicht „Bühnenweihfestspiel“ wie Richard Wagner seinen „Parsifal“ – von dem er sich auch durch die Wahl seines musikalischen Zulieferers abgrenzt. Als den hat er sich den amerikanischen Komponisten John Adams erkoren – nebst Arvo Pärt, während R. W. mit dem „Parsifal“-Vorspiel zwar zu Beginn das musikalische Stichwort liefert (und am Schluss, der Symmetrie halber – die hier eine große Rolle spielt – noch einmal kurz wiederkehren darf), für den die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter ihrem Leiter Simon Hewett aufgeboten ist. Auch ist sein Parzival kein Gralssucher mehr – ein Suchender allerdings auch er, mehr nach sich selbst und seiner Verwandtschaft am Hof von König Artus, dem Neumeier ja schon zuvor ein eigenes Ballett gewidmet hat.

Zum Suchenden wird hier indessen auch das Publikum, das herumraten darf, wer denn hier nun wer ist. Denn wer kennt sich schon aus in der literarischen Genealogie des Chrétien de Troyes und Wolfram von Eschenbach, die Neumeier die Vorlage geliefert haben. Wenn man auch am Anfang noch die Mutter des Helden unter dem Namen Herzeloyde identifiziert, so beginnt das große Rätselraten bei Gahmuret und setzt sich fort beim Fischerkönig via Orgeluse, dem Fräulein, das nie lacht, über Ither und Gornemans de Gorhaut bis zu Gawain, Bohort und Lionel – die man im Nachhinein mittels des Programmheftes steckbrieflich ermittelt. Allenfalls dass man dank seiner Vertrautheit mit dem Bühnenweihfestspiel in dem Fischerkönig, der so entsetzliche Qualen auszustehen hat (Carsten Jung durchleidet sie mit Bravour), Amfortas vermutet. So dass man sich nichts so sehr wünscht wie Übertitel – besonders auch für die drei roten Damen mit ihren zylindrischen Kopftüten, die als drei Tropfen Blut im Schnee figurieren.

Man bestreitet ja nicht die Ernsthaftigkeit – auch nicht die stellenweise ausgesprochen ästhetische Schönheit der Choreografie, Inszenierung, Kostüme und Lichtgestaltung, für die Neumeier im Alleingang verantwortlich zeichnet und auch nicht die eigentümlich wundersame Atmosphäre, welche die dreistündige Tanzlegende evoziert. Und man bewundert die Perfektion, mit der das alles einstudiert ist und ausgeführt wird von dem Hamburg Ballett und seinen Solisten – allen voran der unermüdliche Edvin Revazov, der aus seiner tumben Dumpfheit aufbricht, um ein Held zu werden. Und stöhnt doch, erdrückt durch die Kopflastigkeit dieser Kreation, die mit ihren Bleigewichten auf diesen Bildern lastet und sie in die Länge quetscht. Über diesen ganzen ungeheuerlichen Aufwand – nicht zuletzt auch in den Kostümen. Es ist sicher das ambitionierteste Unternehmen, das derzeit auf den Ballettbühnen der Welt zu sehen ist – allerdings auch das schwerstverdauliche. Und das so ganz und gar nicht danach verlangt, sich ein zweites Mal der Strapaze dieser intellektuellen Gewaltanstrengung auszusetzen.

 

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