Erste Koproduktion von cie. toula limnaios mit Jo Fabian Department

Der Zuschauer bewegt Tanzpaare

Berlin, 17/11/2006

„real time. compiler“ – der Titel ist spröde, technisch, kaum übersetzbar, doch auf was sich das Publikum in dieser ersten Koproduktion von cie. toula limnaios mit Jo Fabian Department einlässt, muss man einfach in Echtzeit miterleben und mitgestalten. In diesem Tanzstück begegnen sich zwei konträre Welten, einzig um den Zuschauer zum eigentlichen Mitspieler zu machen: die poetisch-emotionale Bewegungssprache der Choreografin Toula Limnaios und das abstrakte System Jo Fabians, mit dem der Betrachter durch per Computer eingegebene Texte, denen bestimmte Interpretationsmuster der Tänzer zugeordnet sind, eine Komposition mitgestaltet.

Vier Tische mit Keyboards und dem Hinweis Tanz, Musik, Video, Licht stehen um ein grün illuminiertes Rechteck. In diesem magischen Raum agieren vier Tänzer, die über Kopfhörer die „Regie-Anweisungen“ der vier mitspielenden Zuschauer per weißen (Einzelaktionen) und schwarzen Tasten (Charakter) befolgen. Hört sich kompliziert an, doch die Lust des Publikums, dem komplexen „System“ nachzuspüren und zum Co-Regisseur zu werden, lies die vierte Wand schon am Premierenabend kleiner werden. Fabians Konzept ermöglicht in der ausformulierten nicht improvisierten Choreografie von Toula Limnaios programmierte Module für Tanz, Musik (Ralf R. Ollertz), Video (cyan) und Licht (Klaus Dust), die der Betrachter per Tastatur ins Spiel eingreifend, aktiviert. Doch es spielen immer nur vier Zuschauer direkt mit, die anderen kennen die Verabredung nicht. Primär der Zuschauer am Tanz-Keyboard steuert die Begegnungen zweier Paare, die sich in dieser völlig offenen Dramaturgie fließend in immer neuen Konstellationen zeigen. Ein wundersam abgründiges Kaleidoskop menschlicher Häutungen.

Katja Scholz, Carlos Osatinsky, Nefeli Skamea und Hironori Sugata begeben sich in dieses Versuchslabor permanenter Veränderung mit einer ganzkörperlichen Präsenz, die suggestiv wirkt. Das Experiment treibt sie anfangs puppenhaft ohne Halt in unendlich viele Mini-Sequenzen menschlicher Kollisionen. Man hat Mühe die vielen Puzzles zu überblicken. Die nicht an den Keyboards agierenden Zuschauer verweigerten sich mehrheitlich, Videowand und Echtzeitgrafik ignorierend, dem Gang um das Spielfeld. Konzentriert auf die körperliche Entäußerung saßen sie gebannt um die Szene. Als am Ende die bis dahin nur vom Tanz-Keyboard-Mitspieler zu hörenden „Regie-Anweisungen“ laut eingespielt wurden, visualisierte sich die Verabredung für alle zu einem dichten Geschehen. Vier Menschen im Wind, vorwärts, eingefroren, im Streit, Auge in Auge (black).

Ob die Welt des Theaters vom Zuschauer selbst erschaffen werden kann, wie Jo Fabian hofft, bleibt in dieser einstündigen Installation fragwürdig. Das Experiment dieses grenzüberschreitenden Miteinanders schärft jedoch lustvoll den Blick und das Ohr für komplexe Darstellungsprozesse. Also nichts wie hin und die Tasten gedrückt. Jeder Versuch verändert das Bild.

 

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