Bilder, über den Tanz gestülpt

Drei Uraufführungen von Bombana, Simon und Godani zur Eröffnung der Ballettwoche

oe
München, 18/04/2006

Keine Frage, was das Klassikerrepertoire, seinen Umfang, seine Pflege und seine Attraktivität angeht, ist das Bayerische Staatsballett in Deutschland (Wien und Zürich eingeschlossen) einsame Spitze. Und schon dürfen wir uns auf dessen Erweiterung in der nächsten Spielzeit mit der deutschen Erstproduktion von Petipas „Le Corsaire“ freuen.

Wesentlich schwerer tun sich die tanzenden Bayern mit den Zeitgenossen, ja man kann behaupten, dass Münchens Ballettchef Ivan Liška bisher eine ausgesprochen unglückliche Hand hatte, was das Engagement von Choreografen und ihre Betreuung mit Uraufführungen angeht. Selbst so prominente Persönlichkeiten wie der Kanadier Jean Grandmaître, die Amerikanerin Lucinda Childs, der Franzose Angelin Preljocaj, der Italiener Jacopo Godani, der Japaner Saburo Teshigawara und der Australier Graeme Murphy haben ihre Münchner Kreationen noch stets in den Sand gesetzt. Vielleicht sollte Liska ein paar Nachhilfestunden bei seinem Stuttgarter Kollegen Reid Anderson nehmen, der – wie Liška – nicht selbst choreografiert, aber ein zwar auch nicht untrügliches, aber doch ziemlich sicheres Gespür für Nachwuchstalente hat, die seiner Kompanie in ihrem jeweiligen Entwicklungsstand guttun.

Diesmal allerdings ist Liška relativ glimpflich davongekommen – mit drei Uraufführungen zur Eröffnung der Münchner Ballettwoche 2005 von Davide Bombana, Michael Simon und Jacopo Godani. Der Abend steht ganz im Zeichen von Michael Simon, unverkennbar geprägt durch seine Lehrjahre bei William Forsythe in Frankfurt, seine Raumkonzepte, seine Beleuchtungsstrategien, seine Video-Installationen. So warten die drei Stücke vom ersten Aufgehen des Vorhangs an mit immer neuen optischen Überraschungen auf – drei Ballette, als handelte sich‘s um ein Try-Out für die nächste Kasseler Documenta.

Den Normalgeschmack des Publikums bedienen noch am ehesten Bombanas „Country Rolls“ zu John Adams‘ gleichnamigem Klavierkonzert. Auch hier überwiegt zunächst der visuelle Eindruck, die farblich raffiniert abgestuften Kostüme von Stephen Galloway (auch er ein Frankfurter Forsythe-Ex). Aber auch Bombanas klar strukturierte, ausgesprochen musikalische Choreografie nimmt durchaus für sich ein, zumal da sie von den acht Corpspaaren und den beiden Solisten-Duos mit Lisa-Maree Cullum und Alen Bottaini sowie Lucia Lacarra und Cyril Pierre so bravourös getanzt wird. Ein ausgesprochen das Publikum anmachender Hit – ein erster Hit in Liškas bisher fast ausnahmslos aus Flops bestehenden Münchner Uraufführungsliste.

Umso ärgerlicher Simons „In the Country of Last Things“ zu prätentiösen Texten von Paul Auster und zu Heiner Goebbels‘ vom Staatsorchester unter der Leitung von Myron Romanul fetzig interpretierten „Surrogate Cities“. Simon, der sich selbst als Nicht-Choreograf outet, hat das für zwei Paare arrangiert, die denn auch ganz und gar nicht tanzen, sondern das Katastrophen-Szenario einer oder zweier Ehen à la „Wer fürchtet sich vor Mike Simon“ präsentieren. Erstaunlich, wozu sich heute Tänzer hergeben (hergeben müssen? Weil sie um ihren Job fürchten – denn gelernt haben sie ihr Metier ganz sicher nicht, um solch einen Humbug auszuführen).

Da ist man richtig froh, wenn die acht Tänzerinnen und sechs Tänzer in Godanis „Elemental“ wirklich zu tanzen haben – und das mit funkelnder Brillanz, in ganz erstaunlicher Synchronität und mit fabelhaftem Timing mit den ständig changierenden Video- und Beleuchtungsinstallationen von Gilles Papain und zu einer Klang-Collage von Siegfried Rössert, Ulrich Müller und Godani. Es ist, wie wenn Klang, Beleuchtung, Dekor, Video und Choreografie einen Dialog miteinander führten, in einem geradezu babylonischen Medien-Mix – witzig, charmant, und ausgesprochen fintenreich. Nicht unbedingt das, was man von einer so klassisch-ausgerichteten Kompanie wie dem Bayerischen Staatsballett erwartet, aber ein exzellenter Beweis, wie dessen Tänzer auch mit einer so extremen Herausforderung fertig werden. Und wir, für die der Tanz immer noch der Tanz als Tanz ist, können uns ja unterdessen auf „Le Corsaire“ freuen. Der wird dann hoffentlich nicht wieder von Michael Simon gesamtkonzipiert!

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