„Schwanensee“, vogelvergrippt

Der Klassiker aller Klassiker, infiziert mit dem Lähmungs-Virus

oe
Zürich, 29/10/2005

Mit ihrem „Schwanensee“ haben sich die Zürcher die Vogelgrippe eingefangen – nicht gerade mit dem tödlichen Virus, doch mit dem für eine Theater-Produktion nicht weniger gefährlichen Lähmungs-Virus. Das macht einmal die Abwesenheit jeglicher Dramaturgie (Angela Dauber: please come back!). Stattdessen gibt es ein willkürliches Nummern-Aneinandergestoppel, ohne dramatische Zugkraft. Und zum andern das uninspiriert-unatmosphärische Dekor von Erich Wonder und die unattraktiven, senftopffarbigen Gesellschafts-Kostüme von Florence von Gerkan.

Da auch Heinz Spoerlis Inszenierung – im Gegensatz zu seiner wie immer ausgesprochen musikalischen Choreografie (nach Petipa und Iwanow, versteht sich) – alle dramatische Stringenz vermissen lässt, fehlt der Produktion jegliche Poesie, von Märchenhaftigkeit, Magie und Dämonie ganz zu schweigen. Nie wird klar, welch eine Funktion eigentlich Rotbart hat, der von Anfang an präsent ist – ein missmutiger Hofmarschall als Zoodirektor (Dirk Segers hat da eine Bombenrolle, aber zu welchem Behufe?). Am Schluss stirbt er in einem Schneegestöber.

Der große Gewinner der Produktion ist Vladimir Fedoseyev mit dem Orchester der Oper Zürich – samt dessen Soloinstrumentalisten. Selten hat man Tschaikowskys Partitur so zart, so sensibel, so wenig kraftmeierisch gehört wie an diesem Abend. Ein Jammer! Denn die Einstudierung ist grundsolide gearbeitet und wird ausgesprochen kultiviert getanzt. Die großen Corps-Formationen sind von einer schönen Homogenität. Die kleineren Ensembles demonstrieren die exzellente Trainingsarbeit. Momente der staunenerregenden Faszination machen sich allerdings rar, ereignen sich nicht so sehr in den Soli, sondern einzig im russischen Tanz im dritten Akt, der spontanen Publikumsapplaus auslöst (Yen Han, Iker Murillo und ihre vier Kavaliere).

Die Soli des Prinzen sind kolossal aufgewertet – er eröffnet das ganze Spektakel – aber wirklich an macht Stanislav Jermakov das Publikum erst mit seiner Variation im Schwarzen Schwan. Und die vom Moskauer Stanislawsky- und Nemirowitsch-Dantschenko-Theater entliehene Odette/Odile von Natalia Ledovskaya – na ja, ich würde nicht gerade behaupten, dass sie die Vogelgrippe importiert hat – doch hätten wir ihre Qualität nicht auch etwas näher gehabt? Sie ist eine akkurate Technikerin, verfügt auch über ein souveränes Equilibre, doch Charme, Dämonie und Sexiness stehen ihr nicht zur Verfügung, von Charisma ganz zu schweigen.

Insgesamt also wohl die schwächste aller Klassikerproduktion von Spoerli, jedenfalls im Vergleich zu all den anderen à la „Fille mal gardée“, „Giselle“, „Coppélia“, „Nussknacker“ und „Dornröschen“ – seine eigenen früheren „Schwanensee“-Versionen nicht zu vergessen. What a pity! Und das 24 Stunden nach Stuttgarts B-Klassen-Premiere. Dort ein Haus, in dem die tänzerischen Funken nur so zwischen Bühne und Zuschauerraum hin und her flogen. Auch an der Limmat ein volles Haus, piekfein für eine Produktion der Luxusklasse herausgeputzt. Jede Nummer pflichtschuldigst beklatscht. Doch im Übrigen: tote Hose! Lieber hätte ich mit Malakhovs neuem Berliner „Dornröschen“ verglichen – trotz der vorab veröffentlichten verschrobenen Ausstattungsentwürfe. Doch über 200 Euro allein für Bahn- und Hotelkosten, ohne Aussicht auf auch nur einen Cent an Honorarerlösen, damit schien mir denn doch mein an sich beträchtlicher Investitions-Idealismus überfordert.

 

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