„Orestie“ - Tanzstück von Dominique Efstratiou

Ausdruck statt eitler Virtuosität

Schwerin, 25/09/2005

Ein roter Streifen zieht sich vertikal über die Aussparung im Vorhang und kündet von blutigem Geschehen: Vier Menschen sterben gewaltsam in Aischylos‘ Trilogie „Orestie“, vor 2500 Jahren uraufgeführt, der Tragödie von Gatten- und Muttermord. Dominique Efstratiou, Choreographin griechischer Herkunft, wagt sich am Staatstheater Schwerin an den gewaltigen Stoff um Agamemnon, den Sieger von Troja - und präsentiert einen überwiegend eindrucksvollen Abend. Sie verdichtet geschickt das Geschehen, baut die Pas de deux der Hauptpersonen als strukturierende Pfeiler ein, führt den Chor als kommentierendes, agierendes Element und zeigt eine glückliche Hand bei der typgenauen Besetzung. Allen voran Kellymarie Sullivan als verzweifelt suggestive Seherin Kassandra, sie setzt in ihrem Solo am Anfang beklemmend intensiv den düsteren Grundton der Ausweglosigkeit, niemand achtet auf ihre Visionen. Sullivan bewältigt ihren Part technisch makellos, verliert auch in dramatischer Zuspitzung nicht die klare Linie: eine Tänzerin mit Zukunft.

Milena Ballhaus verleiht der Klytemnestra die gebrochenen Züge der Frau und Mutter, deren Kind Iphigenie vom Gatten Agamemnon für den Zug der Griechen nach Troja geopfert wurde. Im Pas de deux der beiden schwankt sie zwischen der immer noch wachen Liebe zu ihm und ihrem Rachegefühl, das letztlich siegt. Efstratiou schafft subtile Momente der Zärtlichkeit, wenn Klytemnestra ihren Kopf in seine Hand legt, bis zu dem Moment, als die zwei ins Wasser waten, das über dem abgedeckten Orchestergraben schwappt. Im Augenblick der scheinbar höchsten Zuneigung stößt sie zu, Agamemnon fällt wie ein Baum. Jens-Peter Urbich, Ballettchef in Schwerin, verkörpert ihn als müden, kaum noch einer Gemütsregung fähigen Krieger.

Ähnlich feinfühlig gestaltet Efstratiou die Begegnung zwischen den Kindern des Paares, zwischen Elektra (Marion Schwarz) und ihrem tot geglaubten Bruder Orest (Rustam Savrasov). Sie spannt den Bogen vom rasenden Lauf der ekstatischen Elektra um ihren Bruder bis zur innigen Umarmung der Geschwister, die auf Knien zueinander rutschen. Savrasov brilliert mit katzenweichem Plié und schöner Attacke in den Sprüngen. Sein jungenhaftes Aussehen verstärkt den Schock seiner Morde an der Mutter und deren Liebhaber Aigisthos (Bernd Lanzke).

Bühnenbildner Lutz Kreisel schafft unaufdringlich das archaische Ambiente, errichtet im Hintergrund eine mächtig aufragende Burgmauer, in der Mitte als Tor zum Palast teilbar. Die antik anmutenden, stilisierten Kostüme (Giselher Pilz) sind den Träger/innen profiliert zugeordnet: Klytemnestra trägt rot, Kassandra schwarz und Orest weiß. Efstratious Bewegungsmaterial ist weitgehend unspektakulär, der Ausdruck scheint ihr wichtiger als eitle Virtuosität. Sie betont flüssige Abläufe, baut in den freien Stil klassische Elemente ein. Sie fordert das Ensemble, führt es zu einer kompakten Darstellung.

Der Schwachpunkt ihrer Produktion ist der dritte Teil: Der Auftritt der Erinyen mit überlangen, blutroten Fingern und stachligem Kopfputz gerät ihr mehr zur etwas albern wirkenden Sadomaso-Show als zur tödlich drohenden Gefahr für Orest. Auch das Erscheinen der Götter Athene und Apoll wirkt wie aufgeklebt. Das Manko wird aufgefangen durch die furiose Schlusssequenz, in der Orest im Wasser zwischen den Erscheinungen von Klytemnestra und Agamemnon hin und her taumelt: ein verlorener Sohn. Bedauerlich ist, dass im Programmheft keine tiefer gehenden Hinweise zu den dramaturgisch genau ausgewählten Musikstücken, geschweige denn zu deren Texten aufgeführt sind.


Gesehen: Premiere: 23.9.05

Kommentare

Noch keine Beiträge