Im Labyrinth eines Spiegelkabinetts

Bernd Schindowski choreografiert Jean Genets „'adame Miroir“

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Gelsenkirchen, 30/01/2005

Frei nach Jean Genet nennt Bernd Schindowski sein „kinetisches Ballett“ mit dem Titel „Labyrinth“. Er hat den Schocker von 1948, choreografiert von Janine Charrat zu einer Auftragskomposition von Darius Milhaud für die Ballets de Paris mit Roland Petit (damals ganze 24 Jahre alt), Wladimir Skouratoff und Serge Perrault zu einem Abendfüller erweitert und ihm zwei Kompositionen von Alfred Schnittke unterlegt, die Gogol-Suite und „Labyrinthe“. Die kinetische Klassifizierung bezieht sich auf Objekte aus der Sammlung kinetischer Kunst im Museum Gelsenkirchen-Bur, die Manfred Dorra nach den Original für die Bühne des Musiktheaters im Revier adaptiert (das heißt in der Mehrzahl: vergrößert), und die Siegfried Krzistezko stimmungssuggestiv ausgeleuchtet hat. Zustande gekommen ist so ein knapp hundert Minuten währender Ballettabend von beeindruckender Integrationsdichte aller Beteiligten, einschließlich der sich total mit ihren Rollen identifizierenden Tänzer.

Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die deutsche Erstaufführung des „'adame Miroir“ 1953, schon damals in Gelsenkirchen, choreografiert von Betty Merck. Bekannt geworden bei uns ist das Ballett freilich erst durch die beiden Inszenierungen von Gise Furtwängler 1964 in Münster und mit Heiner Schunke und Tilly Söffing 1967 in Köln. Ja, das waren noch Zeiten, als Schriftsteller wie Genet, Cocteau, Anouilh, Günter Grass (!) und Françoise Sagan Libretti fürs Ballett schrieben! Genets „'adame Miroir“ ist ein typisches Beispiel für seine Philosophie des Outcasts und des Vexierspiels der sexuellen Grenzüberschreitungen, wie er sie dann in seinen späteren Romanen, Dramen und Essays vielfach variiert hat – besonders beeindruckend in seinem dann ja auch von Fassbinder verfilmten Roman „Querelle de Brest“.

Dabei ist die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild nicht erst seit Chamisso und E.T.A. Hoffmann ein beliebter Topos der romantischen und später dann auch der surrealistischen Literatur – man denkt da vor allem natürlich an Cocteau, an Paul Devaux (der auch die Pariser Uraufführung ausgestattet hat) und an Ionesco – bei der Musik auch an Gogol („Die Nase“), die sich in ihrer Polystilistik wie ein Zerrspiegel klassischer Zitate zwischen „Zauberflöte“ und Beethovens Fünfter ausnimmt. Und man denkt natürlich auch an das Spiegel-Motiv in Crankos „Onegin“. Das alles erscheint gebündelt und collagiert mit dem Topos des Labyrinths (ohne Ariadne und den Minotaurus) auch in Schindowskis Ballett, das die fantastischen Museums-Objekte geschickt der Choreografie integriert hat, so in den Bildern eine bedrohliche Unheimlichkeit von Identitäts- und Realitätsverlust, von Liebe und Tod beschwörend.

Wobei die Rollen der Frauen – die Geliebte: Priscilla Fiuza und als Domino sehr elegant und linienschnittig Tatiana Marchini – nur eine marginale Rolle spielen. Hauptakteur ist der Matrose, der in einem Jahrmarkts-Spiegelkabinett seinem Alter Ego begegnet und dadurch in ein Identitätschaos stürzt – Narziss, Transvestit, Transsexueller. Er ist der Adam des Titels, der seinen Anfangsbuchstaben M eingebüßt und gegen das zusätzliche E am Schluss eingetauscht hat. Es ist ein tödliches Spiel, auf das er sich da eingelassen hat – eine Art Russisches Roulett.

Es ist das erotische Knistern, der Subtext, das in Schindowskis Produktion zu kurz kommt. Das liegt weniger an seiner durchaus vielgestaltigen Barfuß-Choreografie als an den Besetzungen der beiden Hauptrollen. Der Matrose von Bogdan Khvoynitskiy ist ein bodenständiger, kraftvoller Kerl und Muskelprotz, von einer robusten Gesundheit wie ein Held aus dem Bilderbuch der sowjetischen Eismeerflotte. Sein Spiegelbild dagegen, Min-Hung Hsieh, ist ein kleiner, drahtig-graziler Chinese, elastisch wie eine Gummipuppe. So wird der entscheidende Pas de deux der beiden (mit dem genialen Einfall der zwischen ihren Mündern hin und her wandernden Zigarette) zu einem Petting-Techtelmechtel verharmlost – wird dem Fight der beiden auf Leben und Tod, von Aggressivität und Hingabe, der erotische Zündstoff entzogen. Ja, wenn Schindowski den Fall Moshammer vorausgeahnt hätte, hätte er dem Konfliktstoff eine ungeheuerliche Aktualität verleihen können! So allerdings wäre ihm vielleicht anzuraten, seinen beiden Protagonisten vor ihrem entscheidenden Auftritt ein Paar Poppers zu verabreichen!

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