Sinfonische Glanzlichter aus zwei Dezennien

Eine Gala „Für Uwe Scholz“ begeistert in Leipzigs Oper

Leipzig, 20/06/2005

Sprachlosigkeit im Auditorium, trauervolle Reden auf der Bühne und viel Musik, wie Uwe Scholz sie so geliebt hatte. Tanz fand bei der Totenfeier für den kurz vordem in einer Klinik zu Bad Saarow nahe Berlin verstorbenen Leipziger Ballettchef an jenem 3. Dezember 2004 nicht statt. Unabgelenkt von Schritten und Posen, dem Gefühl über den schmerzlichen Verlust ausgeliefert, standen die Tänzer lediglich als Zuhörer auf ihrer angestammten Bühne und lauschten im Spiel des Gewandhausorchesters der Musik, zu der sie sich sonst nach Maßgabe ihres Chefchoreografen bewegten. Was damals versprochen wurde, konnte nun, ein halbes Jahr später, eingelöst werden. „Für Uwe Scholz - Eine Gala mit dem Leipziger Ballett und Gästen“ ließ dreieinhalb Stunden lang Ausschnitte aus dem Œuvre des choreografischen Ausnahmetalents Revue passieren und zeigte zugleich Entwicklungslinien auf. Gut 100 überwiegend sinfonische Werke, vom Lied bis zur Sinfonie, umfasst das künstlerische Erbe des gebürtigen Hessen, ein reichliches Vierteljahrhundert seines kurzen Lebens gab er dafür begeistert hin. Zwei Engagements als Ballettleiter, seit 1985 in Zürich, seit 1991 in Leipzig, genügten dem früh Erweckten, seinen internationalen Ruf zu begründen. Fast zwei Dezennien dieses Schaffens, von 1985 bis 2004, überstreicht die Leipziger Gedenkgala.

Vom Gewandhausorchester unter Myron Romanul begleitete Choreografien rahmen den Abend. „Siebente Sinfonie“ von 1991 und zu Musik Beethovens als lebensvoller, freudestrahlender Auftakt zeigt Scholzens beeindruckenden Umgang mit sinfonischen Strukturen, den räumlichen Erfindungsreichtum und seine immense Fähigkeit, die technisch vertrackten Schritte, Muster, Bilder aus der Komposition zu empfangen. Den Interpreten verlangt das grundheitere Werk zwar Tempo und Wendigkeit ab, es darf indes nicht zu bloßer Akrobatikausübung absinken. Scholzens Geist über der neuen Kompanie auszugießen, gelang hier noch nicht durchgängig.

Auch bei den abschließenden Exzerpten aus der „Amerika“-Produktion von 1994 entwarf der vielseitige Künstler wieder selbst die Ausstattung; seine Bewegungssprache indes ist entschieden reduzierter und nimmt im Einklang mit der teils minimalistischen Musik bedrohliche Züge an. „The Unanswered Question“ (Charles Ives) erweist sich als hebeplastisches Duett zwischen Einssein und Bedrängnis, bei dem Sibylle Naundorf und Christoph Böhm als exponierte Scholz-Solisten aus der Unterbühne aufsteigen. „The Canyon“ (Philip Glass) mit seinen massigen Gliederungen auf gegeneinander fahrenden Wagen, dem verstörend maschinellen Bewegungsarsenal, Giovanni Di Palmas soldatisch straffen Ertüchtigungsritualen und den grandiosen Körperbildern wie Spiralen und Kreuzen steht als düsteres Antikriegsmenetekel übermächtig im Raum.

Acht weitere Beiträge, vom intimen Solo bis zum furiosen Quartett, fächerten zwischen diesen Ensembleblöcken nochmals die überwältigende Ästhetik des Uwe Scholz auf. Der 2. Satz aus Mozarts „Jeunehomme“-Klavierkonzert, hier tief erfühlt von Kiyoko Kimura und Christoph Böhm, ist mittlerweile vielerorts ein beliebtes Galastück. 1992 erfuhr Udo Zimmermanns „Pax questuosa“ eine Überhöhung ins Visuelle. Wie ein Taumel läuft daraus die zeitlich zerdehnte Dreierverkettung aus Sibylle Naundorf, Sven Köhler und Rémy Fichet vorüber, während Juan Boix der Bekümmernis aus Bachs Kantate 21 geradezu jubelnd Ausdruck verleihen darf. In „Oktett“ nach Mendelssohn Bartholdy brilliert der junge Yuichiro Yokozeki seine drei Mitstreiter an die Wand, im Duett aus Haydns „Schöpfung“, einem von Scholzens Signaturwerken, demonstrieren Roser Muñoz und Vincent Gros Liebe. Höhepunkt der Scholzschen Liedinterpretation mag seine „Winterreise“ sein, als letztvollendete Choreografie 2004 für den Dresdner Amtskollegen Vladimir Derevianko entworfen, in der Leipziger Gala einfühlsam auch von ihm interpretiert.

Vieles musste ungezeigt bleiben, etwa die intensive Auseinandersetzung mit Bach, der großartige Torso zu Bruckners 8. Sinfonie. Wenn mit der nächsten Spielzeit der Kanadier Paul Chalmer die Scholz-Nachfolge antritt, wird er den Spagat bewältigen müssen, den Nachlass seines Vorgängers aufführungsreif zu halten und eine glückliche Hand in der Verpflichtung von Gastchoreografen zu beweisen. Scholz ist für Leipzig ein Muss, aber auch er, der bedeutendste Choreograf deutscher Zunge, wäre sicher im Lauf der Zeit zu fernen Ufern aufgebrochen. Insofern schließen Erbepflege und Neubeginn einander nicht aus.


Nächste Termine: 25., 26. und 30.6., 2.7.

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