Die 31. Nijinsky-Gala

„George Balanchine und Frederick Ashton - Erbe und Einfluss“

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Hamburg, 03/07/2005

Es ist nicht leicht, nach dreißig Jahren noch immer ein neues Motto für die Nijinsky-Abschlussgala der Hamburger Ballett-Tage zu finden. Für deren jetzt zum 31. Mal stattfindende Fortsetzung titelte John Neumeier „Erbe und Einfluss“, eingedenk des im Vorjahr gemeinsamen Geburtstags von George Balanchine und Frederick Ashton. Unser Respekt für seinen Einfallreichtum ist ihm sicher. Die Publikumszustimmung sowieso. Und so gab es am Ende des dreieinhalbstündigen Programms auch diesmal wieder die obligatorischen Ovationen, inklusive Konfettiregen, für ihn, seine prächtige Kompanie, die diversen Gastsolisten und den bewährten Stab seiner Mitarbeiter.

Der erste Teil war Balanchine gewidmet, der zweite Ashton und der dritte dann den Junioren. Für die exzellente musikalische Qualität sorgten André Presser, inzwischen wohl der weltweit versierteste aller Ballettdirigenten, und das Philharmonische Staatsorchester sowie der solistische Pianoakkompagnist Jonathan Higgins. Los ging‘s also mit Mr. B. – sogar mit einer veritablen Uraufführung: John Neumeiers „Valse lente“ zu Balanchines, bei dieser Gelegenheit erstmals öffentlich erklingenden gleichnamigen Komposition. Ein Akt der Hommage als Pas de deux für Heather Jurgensen und Carsten Jung – ein Salonstück der fließenden Partnerschaftskonversation, Balanchine straight gab es dann mit dem „Glinka Pas de trois“, einem virtuosen Show-Stück für Joelle Boulogne, Catherine Dumont und Alexandre Riabko, gefolgt von dem wenig spannungsvoll getanzten Pas de deux aus „Agon“ mit Wendy Wheelan und Craig Hall vom New York City Ballet (ach, wären da nicht die Erinnerungen an Allegra Kent und Arthur Mitchell!), und „A la Francaix“, von Mr. B. 1951 im Musical-Stil choreografiert als eine Art „Fancy Française“ – nur leider nicht so witzig wie der Robbins von 1944.

Dem schlossen sich noch immer im ersten Teil an: Neumeiers sehr emotionsgeladener Pas de deux aus der „Möwe“ (Jurgensen und Otto Bubeníček), der erzmusikalische „Sylvia“-Pas-de-deux von Balanchine – wegen der plötzlichen Absage von José Martinez beschränkt auf die Pizzicato-Variation, pointiert interpretiert von Agnès Letestu von der Pariser Opéra und Neumeiers eigenes „Mozart 338“ – schon bei der Premiere vor zwanzig Jahren einer der schwächsten Neumeier überhaupt (kein Vergleich mit dem späteren „Wie es euch gefällt“), wieder in den scheußlichen Kostümen von Jil Sander, die aussehen, als ob die Farben alle Stockschnupfen hätten.

Am gewichtigsten war der Ashton gewidmete zweite Teil, der nach dem Birmingham-Gastspiel und der splendiden hauseigenen „Fille mal gardée“-Produktion in seiner thematischen Breite Staunen machte. Ob kosmonautisch ambitioniert („Monotones“ zur Musik von Satie – mit Zenaida Yanowsky und den beiden Bubeníčeks), ob klassisch-athenisch (der Titania-Oberon-Pas-de-deux aus „The Dream“ mit Leanne Benjamin vom Royal Ballet und Cédric Ygnace vom Het Nationale Ballet), ob klassisch parfümiert (der „Thais“-Pas-de-deux mit Silvia Azzoni und Riabko), ob den englischen Music-Hall-Comedians verpflichtet (der „Tweedledum and Tweedledee“-Pas de trois mit Solisten des Birmingham Royal Ballet) oder aufgeladen mit Jugendstil-Emphase („Five Waltzes in the Manner of Isadora Duncan“, wie sechs Tiffany-Preziosen modelliert on Molly Smolen): Ashton ist – oder war – das choreografische Allround-Genie des 20. Jahrhunderts!

Die komprimierte Begegnung mit ihm, mit den sehr unterschiedlichen Facetten seines Oeuvres, war DER beglückende Gewinn dieser 31. Hamburger Ballett-Tage! Dagegen kam der dritte Teil der Nijinsky-Gala nicht ganz an – mit den eher beiläufigen Piecen von Christopher Wheelen und David Bintley nicht (von ihm noch am ehesten das von Robert Parker fulminant hingeklotzte „Hamlet“-Solo) – und auch nicht Neumeier mit seinen Exzerpten aus Mahlers Fünfter, die immerhin als Finale bereits den Aufbruch in die Zukunft avisierten. Denn als nächste Premiere des Hamburger Balletts ist für den Herbst dann Neumeiers Fortsetzung seines Mahler-Zyklus mit der Siebten angekündigt. Nach dreißig Jahren scheint der Nijinsky-Bezug der alljährlichen Abschlussgala allerdings erschöpft. Er ist nur noch ein Name, dessen Inhalt sich verflüchtigt hat. Neumeier sollte sich für den nächsten Abschnitt seiner Hamburger Ära etwas Neues einfallen lassen!

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