Warten aufs Christkind

In „Basel tanzt“ Weltstar Sylvie Guillem

Basel, 19/09/2005

Mit dem Christkind ist das ja so eine Sache. Einmal muss man recht lange warten, bis es endlich kommt. Und wenn die ersten Hochgefühle dann vorüber sind, entlarvt ein kleiner Blick auf die Feinheiten nur allzu oft, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Eine Erkenntnis, die man auch beim jüngsten Tanzabend des zweiwöchigen Festivals „Basel tanzt“ gewinnen konnte. Dort gab sich keine Geringere als die Französin Sylvie Guillem die Ehre, Primaballerina von Weltformat, die sich, obschon zu keinen Interviews mehr bereit, zumindest nicht zu schade war, sich auf ein Experiment mit zeitgenössischem Tanz einzulassen: „Rise and Fall“. Dazu hatte sie sich von zwei ihrer ehemaligen Kollegen vom Royal Ballet, den „Ballet Boyz“ Michael Nunn und William Trevitt begleiten lassen.

Alle drei tanzten sie Choreografien des Briten Russell Maliphant, zunächst die beiden Männer in den kleinen Lichtquadraten auf einer ansonsten völlig kahlen Bühne aus dem Duett „Torsion“, zwei menschliche, völlig autarke Kraftwerke, die ständig neue, zumeist (Arm-) Bewegungen und Qualitäten, von pfeilgerade bis weich und fließend, produzieren, wie am Fließband, aber durchaus musikalisch, selbst zu Alltagsgeräuschen aus der elektronischen Komposition von Richard English.

Und dann war es endlich soweit: das Solo „Two“, eigens für die Meistertänzerin modifiziert. Und keine Frage, sie, die schmale, langgliedrige Rothaarige in der engen, schwarzen Fransenhose und rückenfreiem Trikot bezirzte ihr Publikum, obwohl auch sie nur in einer Lichtzelle mit Minimalbewegungen agieren durfte. Eine Art Sphinx, die sämtliche Extreme, von der ausgestellten Hüfte im tiefen Plié bis hin zu rasanten Karate-Armschlägen, beherrschte, wohl wissend um das Geheimnis ein jeder Bewegung. Einfach bestechend ihre ausgesprochen minutiöse, grazile Tanzkunst, kontrolliert von den Haarspitzen bis in die Achillesferse, denn dort hatte Sylvie Guillem einen hautfarbenen, fast nicht zu sehenden Mini-Absatz angeklebt, der ihren Fußspann noch größer und bogenförmiger wirken ließ.

In „Broken Fall“, dem dritten Stück des Abends, eigens geschaffen für Guillem und die Ballet Boyz und 2003 uraufgeführt, verwickeln sich die drei Protagonisten in ausgeklügelte Hebe- und Fallspiele. Eine melancholisch aufgeladene Elektro-Klavierkomposition von Barry Adamson drängt sie unter dem gleißenden Licht der Scheinwerfer zu immer neuen akrobatischen Kontaktaufnahmen, bei denen die Primaballerina in Top und Minirock zum Wurfgeschoss mutiert. Gespannt wie eine Sprungfeder hält sie sich in Kopfhöhe, schraubt sich um die Hälse ihrer Partner.

Kaum eine Unsicherheit erlaubt sich die Guillem. Die Beine stechen graziös in die Luft, alles ist an ihr strebt nach oben, der Fall mag und mag sich nicht einstellen. Eine beeindruckende Professionalität, gewiss. Allerdings ein Tick zuviel davon: Denn sie driftet hier in eine bisweilen marionettenhafte Körperlichkeit und effektheischende Technikversessenheit ab, die das Fließende, Zarte und Berührende von Maliphants Choreografien schlichtweg untergraben. Die Impulse für das Rollen und das Fallen kommen vom Kopf und nicht aus dem Körper, nie gerät sie im Sinne des Modern Dance aus der Balance und der Boden will einfach nicht ihr Freund werden, ganz im Gegensatz zu ihren Partnern.

Daher: Trotz der vergleichsweise größeren Fallhöhe einer Primaballerina - ein bisschen mehr Bodenhaftung hätte auch einer Sylvie Guillem in diesem Fall nicht geschadet.

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