„Ein Sommernachtstraum“, abseits von Mendelssohn

Elvis Costello: „Il Sogno“ auf CD

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Stuttgart, 10/11/2004

Neben „Romeo und Julia“ dürfte „Ein Sommernachtstraum“ das meistvertanzte Shakespeare-Ballett sein – doch im Gegensatz zur Liebestragödie aus Verona hat die Komödie aus dem Wald bei Athen bisher keine eigenständige große Ballettmusik hervorgebracht. Keine jedenfalls, die Prokofjews „Romeo e Dschiuljetta“ vergleichbar wäre. Denn diesen Rang wird man auch Georg Katzers für Tom Schilling entstandenen Abendfüller nicht zugestehen – ebenso wenig wie dem jüngst auf CD herausgekommenen „Il Sogno“ von Elvis Costello (Michael Tilson Thomas mit dem London Symphony Orchestra auf Deutsche Grammophon 00289 471 5772, 61´).

Dabei handelt sich‘s um eine überarbeitete Version der Ballettmusik, die Costello, fünfzigjähriger Brite und international populärer Grenzgänger zwischen Soul, Rock, Country und Swing, mit gelegentlichen Abstechern auf dem Gebiet der E-Musik, vor vier Jahren für Mauro Bigonzetti und sein Aterballetto komponiert hat. Es ist eine sehr reizvolle und abwechslungsreiche Musik für großes Orchester, durch und durch tänzerisch inspiriert, die man vorbehaltlos allen empfehlen kann, die nach einer Musik abseits von Mendelssohn suchen – und das scheinen nicht wenige Choreografen zu sein, die die Schauspielmusik Mendelssohns ergänzt haben, indem sie andere Komponisten hinzugezogen haben: John Neumeier beispielsweise György Ligeti und Drehorgel-Schmonzetten oder Heinz Spoerli, der sich bei Steve Reich und Philip Glass umgesehen hat.

Costello hat sich dabei eng an die Dramaturgie Shakespeares gehalten und immer schön brav am Text entlang komponiert (ohne Liedeinlagen). Er charakterisiert die Figuren ausgesprochen individuell, arbeitet auch mit Leitmotiven und spitzt die dramatischen Konflikte pointiert zu. Anklänge entdeckt man auf Schritt und Tritt – etwa an Prokofjew, Martinu, Françaix und Bernstein, und die ganze Partitur hat einen leicht jazzhaften Anhauch und tanzstimulierenden Drive. Die Instrumentation ist licht und transparent – solistisch spielen sich Cimbalon und Vibraphon, Sopransaxophon, Kontrabass und Schlagzeug in den Vordergrund. Das ganze Werk bezaubert durch seinen delikaten und geradezu zärtlichen Lyrismus. Und genau diese Qualität kommunizieren Michael Tilson als Dirigent und die Mitglieder des London Symphony Orchestra mit Hilfe der Klangtechniker der Deutschen Grammophon. Lauter musikalische Streicheleinheiten für strapazierte Tänzerfüße!

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