Die Pariser „La Bayadère“ als DVD-Dokumentation

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Stuttgart, 15/04/2004

Ich hatte die 102-Minuten-DVD mit dem Produktionsdatum 2002 zunächst für eine Neueinstudierung der Pariser „La Bayadère“ von Rudolf Nurejew aus dem Jahr 1992 gehalten. Auch noch bei den Eingangssequenzen, die kurz die Geschichte des Bajaderen-Stoffes, des Petipa-Ballettklassikers von 1877 und die Pariser Karriere Nurejews von seinem Erstauftritt mit dem Kirow-Ballett als Solor im Schattenakt 1961 (damals war er gerade 23) bis zu seinem Tod 1993 rekapitulierten. Erst dann ging mir auf, dass ich nicht richtig gelesen hatte. Denn auf dem Titel heißt es klipp und klar „Dancer´s Dream – The Great Ballets of Rudolf Nureyev – La Bayadère – Documentary“. Es handelt sich also um eine Dokumentation der Proben zu einer Wiederaufnahme der Produktion von 1992 mit dem Pariser Opernballett. Die Hauptbeteiligten sind Isabelle Guérin als Nikiya, Elisabeth Platel als Gamzatti und Laurent Hilaire als Solor – weiter genannt sind die ebenfalls aktiv als Direktorin der Kompanie beteiligte Brigitte Lefèvre und als Ballettmeister Patrice Bart. Noch ein paar andere Personen sind namentlich aufgeführt, die aber kaum oder überhaupt nicht in Erscheinung treten. Nicht genannt auf der Besetzungsliste der Hülle und auch nicht in dem Begleitheft ist indessen die Person, die am meisten im Bild ist – nämlich die Proben-Ballettmeisterin Ghislaine Thesmar.

Zu sehen ist die Probenarbeit im Ballettsaal mit gelegentlichen Einblendungen der Bühnenaufführungen des Balletts – mit ausführlichen Kommentaren aller Beteiligten über ihr Rollenverständnis, auch wie sich ihre Rollenauffassung über die Jahre entwickelt und vertieft hat und detaillierten Erörterungen spezifisch stilistischer und aufführungspraktischer Fragen. Und diese Sequenzen sind eine Offenbarung – oft erhellender und informativer als die Vorstellungsausschnitte (in den für meinen Geschmack allzu überladenen Kostümen von Franca Squarciapino). Staunend registriert man, welch ein ungeheurer Arbeitsaufwand hinter jedem Schritt, jeder Geste, jedem Blick steckt, wie minuziös jedes Detail ausgefeilt ist. Man kriegt einen geradezu ehrfürchtigen Respekt vor der Arbeitsleistung aller Beteiligten, sowohl der Tänzer als auch der Probenleiterin. Und registriert verwundert den Verwandlungsprozess von härtester und strapaziösester Knochen- und Muskelarbeit in Kunst von reinster Sublimität. Was ich mir lediglich zusätzlich gewünscht hätte, wäre im Anhang der komplette Schattenakt in Vorstellungsqualität gewesen. Doch auch so ist dies eine DVD geworden, die ich (zusammen mit Neumeiers „Illusionen wie Schwanensee“) unbedingt an meinen Verbannungsort auf der Insel der Ballett-Seligen mitnehmen würde. (TDK DV-BLDDLB)

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