Dancing in the Light

Mit „Oh My Goddess“ zeigt sich der Brite Michael Clark gebändigter als erwartet

München, 08/11/2004

Willkommen im Club. Minutenlang dröhnt Discomusik aus den Boxen und überflutet die hell ausgeleuchtete, leere Bühne. Im fast ausverkauften Carl-Orff-Saal harrt man geduldig des zu erwartenden Spektakels. Schließlich steht ein Gastspiel des englischen Punk-Choreografen Michael Clark auf dem Programm. Es ist der zweite Besuch seiner Kompanie in München. Der erste geht auf die 80er Jahre zurück und datiert aus einer Zeit, als Clark – ein klassisch ausgebildeter Absolvent der Royal Ballet School – die Londoner Ballettszene mit radikalen, popig bunten und fetzigen Performances aufrührte. Einblicke in diese Schaffensperiode des borstig-sinnlichen Künstlergenossen mit einem unwiderstehlichen Faible für Popmusik, Mode und Travestiegags konnte man am Vorabend in der Galerie Rüdiger Schöttle gewinnen. Hier wurde „Hail the New Puritain,“ ein Dokufantasyfilm von 1985 gezeigt. Die Regie führte Videotanz-Pionier Charles Atlas, der – wie so oft - auch für das Bühnen-Lichtdesign verantwortlich zeichnet: Allianzen – Differenzen...

Heuer feiert The Michael Clark Company ihr 20jähriges Jubiläum und beweißt mit „Oh My Goddess“, dass auch Stillstand eine Art von Weiterentwicklung sein kann. Und sei es das simple Aufbrechen von Anfang und Ende einer Tanzvorstellung durch Grenzverwischung der tradierten Konvention. Mit dem Black out kommen die Tänzer. Ganz in schwarz gekleidet, gruppieren sie sich in diversen Formationen, wobei ihnen die Kartontüten auf ihren Köpfen ein kurioses Aussehen verleihen. Wenig später tauschen sie den behäbigen Kopfputz gegen eine zottelige Perücke, wie sie ihr Vortänzer in weißem Hemd und weißen Turnschuhen trägt: Uniformität der Masse.

Zeit, etwas Pop Art über den herabgefahrenen Videoscreen zu schicken und schon geht's weiter mit Rutschern in den Spagat, klassischen Ballettsprüngen, steifarmigen Schwenkungen und Pirouetten. Ende des Songs. Was sich nun aneinander reiht, ist eine Bebilderung lieblos dahingeschmetterter Klaviernoten (David Appleton) nach Eric Saties „Preludes“ vor violettem Hintergrund. Ein Mann, in engem Beintrikot und puffärmeligem Blouson, beginnt konzentriert und kontrolliert seinen Körper in mehr oder weniger klassischen Exerzitien zu drehen, zu beugen und zu balancieren. Sein Blick dabei bleibt starr: Bloß keine Emotionen. Weiter geht es mit fünf ähnlich strukturierten Sequenzen, in denen sich wechselnde Paare, Trios und Gruppen bis hin zum Septett in vorwiegend langsamen, von Posen dominierten Schreittänzen begegnen oder aber – zumeist – eine synchrone Einheit präsentieren. Ein Touch Pathos und der Verzicht auf alles Fließende in den Bewegungen endet in einem gelb umrahmten Ensemble-Coup. Kein Kostüm lenkt von der Schlichtheit des Schrittvokabulars ab: Clark führt uns vor Augen, warum wir Ballett hassen (könnten) und (Show-)Tanz lieben. Die Seele seiner Tänzer aber beginnt nur unter den schrägen Popmusik-Schlagern von T. Rex, The Human League, PJ Harvey oder den Sex Pistols zu schwingen.

Aus einem Rauschen löst sich ein anschwellender Beat und die etwas rockigere, mit Break Dance-Elementen versetzte Nummer eines Ensemblemitglieds animiert zwei Paare zu neuen Figuren: die Battements schlagende Schlange. Dann unterbricht die Videoeinspielung der Musikgruppe CAN das Geschehen für eine Pause. Im zweiten Teil zieht das Stück wesentlich an und Michael Clark gibt eine solistische Kostprobe seines noch immer charismatisch-geschmeidigen Könnens. Im schwarzen Shirt mit überlangen Ärmeln wippt er in den Hüften und suggeriert in am Boden rotierenden Windungen subtil ironisch Erotismus à la Nijinskys Faun: Szenenapplaus. Eingebunden hat er diesen seinen Part in ein farbenfrohes Symmetrie-Getümmel aus rosa und pinken Minikleidchen, in die nach und nach auch die zuvor schwarz trikotierten Männer schlüpfen. - Wobei wir wieder bei der Travestie und dem exzentrischen Verkleiden wären, wie Charles Atlas Film sie uns so schrill geschildert hat. Der späte Michael Clark, dessen choreografische Sprache mittlerweile fast schon an die „Cunningham'sche Zurückgenommenheit“ gemahnt, ist in seinen Grundsätzen dem jungen treu geblieben. Weshalb er statt einer gewöhnlichen Verbeugung seine Tänzer noch einmal ins Rennen schickt: Zu einem furiosen Nachschlag aus begierigem Tanz und lebhaften Sprüngen in verquer geknöpften Jacken und Mänteln. Lange hat man darauf warten müssen.

Kommentare

Noch keine Beiträge