Tanz gegen gefährliche Kulturpolitiker-Ignoranz

Das sensationelle Ballett Frankfurt in Ludwigsburg

Ludwigsburg, 17/06/2002

Mit den beiden triumphalen Auftritten des Balletts Frankfurt im Forum-Theater haben die Ludwigsburger Schlossfestspiele unversehens ein Stück höchst aktueller Information über die ignorante Kulturpolitik der Stadt Frankfurt geliefert. Die plant nämlich allen Ernstes das, was gegenwärtig in der ganzen Welt mit ungläubigem Kopfschütteln bestaunt und mit zahllosen Solidaritätsadressen zu verhindern versucht wird – die Abschaffung dieser Kompanie, die international zu den renommiertesten gehört und deren Chef, der Ex-Stuttgarter William Forsythe, als einer der bedeutendsten avantgardistischen Choreografen unserer Zeit gilt, in New York so gefragt und gefeiert wie in Paris und übrigens auch in Stuttgart.

Ein Gastspielbetrieb mit netteren Balletten, da ist man in den Frankfurter Ratsstuben sicher, würde viel mehr Spaß machen und vor allem Geld sparen. Und für den internationalen Ruf blieben schließlich immer noch die Würstchen. Was da dummdreist auf Spiel gesetzt wird, das hat die Truppe jetzt mit ihrem vierteiligen Programm aus neuen und überarbeiteten Werken Forsythes demonstriert. Ein Abend aus einem Guss, sich wie eine Knospe unter größten Schwierigkeiten durch die Erdkrume ans Licht quälend, immer mehr aufblühend und schließlich in ein atemberaubendes, irrwitzig-rasantes Tanzcrescendo mündend. Nach der Vorstellung fallen den Zuschauern außer „unglaublich“, „Wahnsinn“ und „Das gibt's doch gar nicht“ keine Kommentare mehr ein.

Forsythe lässt das Programm aus „7 To 10 Passages“ keimen, in dem sich fünf Damen und Herren während einer halben Stunde in unendlicher Langsamkeit mit die Körper fantastisch deformierenden Bewegungen aus dem Hintergrund bis an die Rampe plagen, während an zwei Tischen offenbar therapeutische Texte in Englisch über sie verlesen werden. Am Ende scheinen sie von Thom Willems' schleifender Elektronikmusik vollends erfüllt zu sein und ihr spezielles, uns verschlossen bleibendes Glück zu fühlen. „The Room As It Was“ nimmt anfangs Spuren dieser Bewegungen auf und entwickelt sich bald zu einem neoklassisch aromatisierten, schwingenden, schlängelnden, federleichten Spiel der Gliedmaßen und Körper, in dem sich Duos und Trios einer Art friedlichen Kampftrainings erfreuen. Nur das forcierte Atmen der Tänzer bestimmt den Rhythmus.

In „Double/Single“ scheint die körperliche Reife der Tänzer abschlossen zu sein. Sie geben sich auf einer dicken Matratze, eine zweite steht unbenutzt neben ihr, zu Musik für Violine solo von Bach skurrilen Partnerspielen hin, die Oberkörper häufig von der Matratze gestützt – kurze, dynamische, akrobatische Menschengeschichten, die meistens mit der Trennung enden.

„One Flat Thing, Reproduced“ zum Schluss ist ein Knaller: Vierzehn Damen und Herren zerren mit Radau Metalltische in den Vordergrund, ordnen sie wie für eine Konferenz und beginnen auf, zwischen und unter ihnen geradezu einen Tumult präzisen, überaus riskanten Hechtens, Rutschens und Jagens, während Thom Willems aus den Lautsprechern ein Erdbeben einschließlich Sekundärfolgen donnern lässt. Tische zurück – Licht aus. Das hat die Welt noch nicht gesehen. Beinahe der gleiche Tumult anschließend im Saal, am lautesten veranstaltet von den soeben von ihrer erfolgreichen Palermo-Tournee zurückgekehrten Stuttgarter Tänzern. Und darauf glaubt Frankfurt verzichten zu können!

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