Peter Breuers „Bolero“

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Salzburg, 05/10/2002

Dritte Vorstellung der Premiere vom 13. September, mit der Peter Breuer sein vierzigjähriges Bühnenjubiläum feierte. Volles Haus, begeistertes Publikum. Der neue Abend bekräftigt Breuers Ruf als einer unserer besten tänzerischen Geschichtenerzähler – auch wenn der neue Schmidt ihn ignoriert.

Der Titel „Bolero“ signalisiert nur das Finale. Vorweg gehen rund ein Dutzend Szenen als Salzburger Melange aus Schnitzlers „Reigen“, Soap Opera, Mystery-Thriller und Film-Dramolett, kühn zusammengemixt von Christian Martin Fuchs. Getanzt wird zu einem Arrangement aus Rachmaninow, Nyman, Zappa, Morricone und, und,  und …, eben Ravel, hin und her lavierend zwischen Schein und Sein – nicht immer ganz einsichtig trotz stichwortartiger Laufschriftbetitelung.

Immer aber tänzerisch spannend, hochmusikalisch, bei enormer stilistischer Bandbreite, äußerst theatralisch, mit scharf profilierten Persönlichkeitscharakteren (wobei die Kostüme von Bettina Richter entscheidende Identifikationshilfe leisten), ausgesprochen sexy – auch und gerade im finalen „Bolero“, entwickelt aus minutenlanger Rückenansicht der beteiligten Tänzer.

Eine höchst gediegene Handwerkerleistung. Geschickter kontrastreicher Aufbau. Auffallend auch Breuers Mut zu polyphoner Stimmführung der gegeneinander, beziehungsweise komplementär geführten Gruppen. Ein kleiner choreografischer Geniestreich – ohne jeden Leerlauf. Nicht viele Choreografen verfügen über ein derart reiches Vokabular. Wäre Stuttgart nicht so weit entfernt, ich würde gleich noch einmal in die nächste Vorstellung gehen. Man wünschte Breuer dringend größer dimensionierte Arbeitsmöglichkeiten!

Die Tänzer sind mit einem Enthusiasmus bei der Sache, der sich umgekehrt proportional zu ihren mageren Gagen verhält (und Salzburg ist ein verdammt teures Pflaster). Sie tanzen, als ginge es um ihr Leben. Jede und jeder ein individueller Typ und dann alle zusammen im „Bolero“ eine harmonisch aufeinander eingeschworene Gemeinschaft. Zwei sind mir besonders aufgefallen: Maja Veljkovic, erst wegen ihrer wunderbar reinen klassischen Linie, so dass man ihr nie das furiose Temperament zugetraut hätte, mit dem sie dann auf ihre Rivalin losgeht – und der elektrisierende Maurizio Montis, in dem ein veritabler Tanzteufel zu stecken scheint. Alles in allem ein famoses, kleines, aber feines Tänzerensemble, das sich keineswegs hinter, sagen wir Karlsruhe oder Hannover zu verstecken braucht (beide immerhin Staatstheater).

Auf der Rückfahrt ins Hotel dann ein höchst lebendiges und informationsreiches Gespräch mit Fernando Coelho, Breuers Ballettmeister und Assistent. Der ist, sein Name sagt es ja schon, Brasilianer, um ein paar Ecken herum mit Marcia Haydée verwandt, kam als Tänzer zu Germinal Casado nach Karlsruhe und ist jetzt in der dritten Spielzeit in Salzburg und stellt interessante Vergleiche zwischen Karlsruhe und Salzburg an (nicht durchweg zum Vorteil von Salzburg).

Er war in den Ferien gerade wieder in Brasilien und berichtet voller Enthusiasmus über Richard Craguns nunmehr staatlich abgesicherte De Anima-Kompanie in Rio de Janeiro, 28 Tänzer stark, mit Roberto de Oliveira als Chefchoreograf. Das Repertoire besteht bisher noch primär aus Oliveiras Berliner Arbeiten, darunter auch die abendfüllende „Cinderella“-Produktion in der von Stefan Morgenstern übernommenen Ausstattung, aber es gibt auch schon einen Kylián und weitere Einladungen an Gastchoreografen sind vorgesehen. Endlich also die gute Nachricht von Richard Cragun, auf die wir so lange gewartet haben. Man hat ihm sogar ein neues Gebäude zur Verfügung gestellt. Unseren Glückwunsch nach Rio de Janeiro!

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