James Sutherland debütiert mit „A Kind of Love“

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Pforzheim, 28/11/2002

Neubeginn in Pforzheim, von dem es ja immer mal wieder heißt, es sei die reichste Stadt in Deutschland. Jedenfalls hat es ein schmuckes Stadttheater, 510 Plätze (hundert weniger als Heidelberg), das drei Sparten zu versorgen hat. Ein neuer Intendant, ein neuer Leiter des Balletts: James Sutherland ist Schotte, hat lange bei Spoerli in Basel getanzt und ist seit Beendigung seiner Tänzerkarriere als freischaffender Choreograf tätig, hat auch schon beim Stuttgarter Ballett gearbeitet. In Pforzheim hat er zehn Tänzer zur Verfügung, sechs Damen und vier Herren.

Sein erster Abend heißt „A Kind of Love“ und wird anfangs und am Schluss zu der geräuschhaften „Music for Airports“ von Brian Eno und im Hauptteil zu einer Auswahl aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ und den Partiten für Solovioline getanzt. An Ausstattung ist so gut wie nichts vorhanden. Durch Neonröhren hat Michael Engel eine Art Tor im Hintergrund geschaffen und nach der Pause den Raum durch ein Neonquadrat abgegrenzt, die Kostüme stammen von Ellen Haub, knapp sitzende Badeshorts und Hemden, die farblich ein bisschen variieren.

Viele Lichtwechsel von Kai Luzak. Ein weitgehend musiklos belassener Prolog mit deutschen und englischen Slogans über die Liebe und dergleichen Allerweltserfahrungen wird von einem Paar und dann einem Pas de quatre (drei Frauen, ein Mann) vor dem Eisernen Vorhang getanzt – die folgenden Tänze sind als Pas de trois, de quatre und so weiter bezeichnet, ein Pas de deux für Elsa Genova (die auch als choreografische Assistentin fungiert) und Toomas Rätsepp, dem dann noch ein Solo für Genova folgt, bevor sich das Stück wieder zu einem Anfang mit Lucretia Piatelli-Seeger und Jorn de Jonck zurückentwickelt, gewissermaßen auströpfelt.

Und wie sieht diese Pforzheimer „Eine Art Liebe“ aus? Sehr aufregend scheint es in Sachen Liebe in Pforzheim nicht zuzugehen. Es sind die üblichen Begegnungen, mit sich selbst, zu zweit, sehr viel zu dritt, wobei eine oder einer immer als Störenfried wirkt, meist gemischtgeschlechtlich – alles sehr kurz, ohne Entwicklungen, ohne zielgerecht angesteuerte Höhepunkte, Quickies sozusagen, die immer wieder abreißen und dann neu beginnen – aber das alles führt zu nichts. Eine Aneinanderreihung von Episoden, getanzt in Schläppchen, in jenem Allerweltsidiom aus Klassisch und Modern, mit Gruppenbildungen, die durch einen neu hinzutretenden Tänzer dann verändert werden. Einen Bezug zur Musik habe ich nicht feststellen können. Die läuft nebenher, wie aus einem Wasserhahn, der bald aufgedreht und dann wieder abgestellt wird. Das Zwei-Stunden-Programm verläppert im Nichts, findet jedoch die zum Teil johlende Zustimmung des Premierenpublikums im vollen Haus.

Aller Anfang ist schwer – und wieder werde ich mir bewusst, wie privilegiert wir doch in Stuttgart leben. Die Tänzer: nicht unsympathisch und harte Arbeiter, aber ich kann mir nicht gut vorstellen, dass eine oder einer von ihnen eine Chance beim Stuttgarter Ballett hätte.

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