„Flut“, „Im Bade wannen“ und „Herz.Kammern“ - klein aber exquisit!

Susanne Linke und Urs Dietrich beim anspruchsvollen Festival „Soliterre“

Landsberg, 28/09/2002

Auch die zweite Vorstellung von „SOLITERRE - 2. Solotanz Tage Landsberg“, die vom 26. September bis 05.Oktober im Stadttheater stattfinden, war ausverkauft. Kein Wunder, waren doch an diesem Samstagabend mit Susanne Linke, die durch die große Ausdruckstänzerin Mary Wigman zum Tanz kam, und dem an der Essener Folkwangschule ausgebildeten Urs Dietrich gleich zwei Größen des modernen Tanztheaters angekündigt, die durch Ausbildung, zahlreiche Projekte und die gemeinsame Leitung des Bremer Tanztheaters enge künstlerische Partner sind.

Es begann mit „Flut“, das Linke 1981 während ihrer zehnjährigen Direktion am Folkwang-Tanzstudio für sich selbst choreographiert hatte. Urs Dietrich entwickelte hochkonzentriert die durch den ganzen Körper wellenförmig laufenden Bewegungen, mit denen er eine hellblaue Stoffbahn von links nach rechts aufrollt. Im lange Zeit auf diese Stoffbahn reduzierten Raum faszinieren die fast nur im Profil gezeigten, in ihrer Amplitude auf- und abschwellenden Bewegungen noch immer. Denn die stete Wiederholung der Schwünge, die organisch-langsam modifiziert werden, verraten eine Radikale des Tanzes, die sich leichte Auswege verbietet. Dennoch gibt es schön erfundene Momente: Man spürt das Strömen, wenn Dietrich tanzend unter sich die Stoffbahn zu kleinen Wellen zusammenschiebt, ebenso wie man vorher bei seinem Gehen auf dieser Bahn den Widerstand des Wassers wahrnahm. All dies wird in seiner Spannung gesteigert durch die Wechselwirkung mit der Einspielung einer Orchesterprobe zu Gabriel Faurés „Elegie“, in der Pablo Casals Stimme die anschwellende Melodie immer wieder neu richtet. Als der Tänzer die vierfach gefaltete Bahn ausbreitet und das Finale auf großer Fläche tanzt, wird er zu einer sich türmenden Welle...

„Im Bade wannen“ ist ein weiteres Erfolgs-Solo Susanne Linkes aus dem Jahr 1980. Sie tanzt es selbst, seit vorigem Jahr wieder, nach wie vor imponierend: die Wanne umstreifend, immer schneller, etabliert sie die ovale Form im Raum, die sie durch wachsenden Abstand zum Objekt vergrößert. Auf dessen Rand sitzend, nähert sie sich ihm, hinein schauend, entlang rutschend, es herum schiebend. Schließlich kippt sie die Wanne. Zu den Streicher-Klängen von Erik Satie entfaltet Linke nun die Magie einer Pirouette der Badewanne. Die Wanne wird zum Partner, der die auf ihrem Rand lastende Tänzerin hebt und senkt. Im Profil schaukelt ihr Körper auf dem schrägen Rand der Wanne, kombiniert mit deren Kippen. Am Ende ihres Kraft verlangenden „Pas de deux“ bewegt sich Linke weich fließend wie das Schaukeln des Wassers in der Badewanne; sie legt sie um, liegt in ihr wie ein Embryo (oder wie in einem Sarg?) und rollt hinaus...

Urs Dietrichs „Herz.Kammern“, ein erst in diesem Jahr fixiertes Solo, zeigt den Direktor und Choreographen des Bremer Tanztheaters wie Gregor Samsa auf dem Rücken liegend. Gestreckt dreht er sich links herum, kommt allmählich mehr auf der Seite zu liegen und setzt, gebeugter nun, die Fußspitzen übereinander vorwärts. Viel Zeit lässt er sich, um in diesen Drehungen ein ganz organisches Aufrichten des Körpers zu analysieren. Beim Aufstehen stößt er gegen Barrieren und verharrt in absurden Posen. Den Anfang repetierend, zelebriert er die gedankliche Vorwegnahme des Laufens im Liegen – was in Momente scheinbarer Schwerelosigkeit mündet. Das Abbrechen und wieder Einblenden wummernder Musik gliedert weitere Stufen, in denen Dietrich die Schwere des Körpergewichts und die Koordinationsleistung des sich aufrichtenden Körpers bewusst macht. Im Wechsel zwischen Fallen und Aufstehen hält er in transitorischen Posen an und reflektiert diesen Prozess. Auch Attituden des Stehens hinterfragt Dietrich in Reaktionen auf die anschwellende Musik virtuos durch wechselnde Spannungsbögen im Körper. Als im Fade-out allein das Herz in seiner hochgestreckten Hand schlägt, scheint dies wie ein Ruf, diesen lange thematisierten Körper auch noch mit Blut, Emotionen und Individualität zu füllen.

Klein und exquisit wie die gezeigten Soli dieses Abends ist das Landsberger Festival insgesamt. Die von Heiner Brummel nach sorgfältiger Recherche zusammengestellte Auswahl und ihre sympathische Präsentation, die auch vorsieht, dass die Künstler dem Publikum in Gesprächen näher kommen, scheint wie ein kleines Wunder.

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