Raymondas verzögerte Ankunft

Drama statt Tanzmarathon dank Gastbesetzung

München, 06/12/2001

Erst in der Besetzung des 6. Dezember kam die Geschichte, die Ray Barra in seiner Neubearbeitung erzählt, kam das Drama um Raymonda zum Tragen: Lukas Slavicky zeigte sich als Jean de Brienne mit frischer Energie jung und freundlich, freudig seinen Kreuzzug-Abenteuern zugeneigt. So fand sich seine Verlobte auf ihrem Namensfest schnell allein gelassen. Barbora Kohoutkova, die als Starballerina Finnlands geltende junge Tschechin, zeigte ihre Enttäuschung so verhalten, dass sie den Trost herausforderte, den ihr die Hofgesellschaft mit ihrem Tanz zu geben sucht. Auch die erste Variation tanzte sie, Raymondas Traurigkeit überspielend, sehr gewinnend, und Alen Bottaini machte als Abderakhman durch seine Kraft die sinnliche Bindung zwischen beiden vom ersten Moment an spannend.

Jetzt war „Raymonda“ in München angekommen, denn welch ein Liebreiz, den Kohoutkova ihrer Raymonda verlieh, und welche Irritation durch Abderakhmans grandiose erotische Attacke! Die beiden Freundinnen (vorzüglich: Pavla Mikolavcic und Fiona Evans) und die Troubadoure Bernard (präzise und dynamisch: Udo Kersten und Guan Deng) springen ihr bei, ehe Kohoutkova im resignativen Umgang mit dem ihr von Jean geschenkten Schleier eine elegische Stimmung erzeugte, der man sich nicht entziehen konnte.

Wenn die Einheit von Musik und Tanz in so hohem Maß zum Träger von Emotionen wird, wird Ray Barras Geschichte nachvollziehbar: Dass Raymonda im Traum Jean ihrer Idealvorstellung annähert, machte Barbora Kohoutkova im Tanz so evident, dass Lukas Slavicky ihr nur folgen musste. Und als Abderakhman plötzlich an Jeans Stelle tritt, wird klar, dass Raymonda ihn für ihre persönliche Entwicklung braucht. Im Cour d´amour bewies Alen Bottaini mit seiner explodierenden Grand Manege und virtuosen Tricks einmal mehr seine Extraklasse. Slavicky gestaltete den Pas de deux, in dem er Raymonda zurückgewinnt, gemeinsam mit Kohoutkova als klar lesbaren Prozess. Der Grand pas hungrois der Hochzeit, in dem sich das Ensemble in bestechender Schönheit präsentierte, bot Gelegenheit, sich von so viel strapaziösen Emotionen zu erholen, während Kohoutkova den Handlungsbogen, der in der Apotheose einer ihrer Umgebung und ihrer selbst sicher gewordenen jungen Frau gipfelt, sicher zu Ende führte.

In der dritten Besetzung, die am 21.12. debütierte, (mit einer als Weiße Dame sehr gewinnenden Natalja Trokaj) fand Kusha Alexi als Raymonda erst allmählich über ihre technische Stärke zu ihrer Rolle. In der Begegnung mit Abderakhman sah man, was gemeint ist, doch zwingend übertrug es sich noch nicht. Die Traumsituation aber machte sie sehr deutlich und gewann von da an zunehmend Interesse für die inneren Regungen Raymondas. Sicher geworden, tanzte sie die Entführungsszene hinreißend naiv, versöhnte ihre Raymonda in einem sich ganz organisch entwickelnden Pas de deux mit Jean de Brienne und wurde im Grand Pas mit souverän verhaltenem Temperament zur glanzvollen Burgherrin. Oliver Wehe als ihr Verlobter war ein spielfreudiger, präsenter Jean und weniger vorsichtig als sonst. Wahre Highlights in den Variationen blieben aus, aber sehr elegant gelangen seine Pas de deux mit Kusha Alexi. Amilcar Moret Gonzales schließlich zeigte sich als Abderakhman im Vergleich zur Premiere bereits gewachsen, indem er szenische Phantasie entwickelte und in seinen Sprüngen kein Risiko mehr scheute.

Fazit: Alle drei „Raymondas“ interpretierten ihre Rolle unabhängig voneinander ganz verschieden. Die zweite aber war ein Glücksfall.

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