Boris Eifmans „Don Giovanni und Molière“

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Ludwigsburg, 29/10/2001

Sie sind inzwischen so etwas wie die Stammgäste der herbstlichen Ballettstagione, welche die Kulturgemeinschaft Stuttgart alljährlich für ihre Mitglieder im Ludwigsburger Forum am Schlosspark veranstaltet – zehn Vorstellungen diesmal, vom Publikum mit sichtlichem Vergnügen goutiert: das St. Petersburger Ballett-Theater des Boris Eifman. Eifman ist die russische Antwort auf Béjart und sein Ballett-Theater sozusagen die Volksausgabe des nach wie vor seine aristokratische Abstammung kultivierenden Balletts des Marientheaters. Mit Vorliebe bedient er sich der großen Stoffe der Weltliteratur.

Sein neuestes Opus heißt „Don Giovanni und Molière“ und getanzt wird es zu einem abenteuerlichen Musikverschnitt aus Mozart und Berlioz – mit beträchtlichem Kostümaufwand in einem Zwei-Etagen-Bühnenraum, dessen oberes Stockwerk bald Kathedrale, Palast und Nonnenkloster ist, beide entworfen von Slawa Okuniew. Seine Inspiration hat Eifman aus Molières Prosakomödie „Dom Juan ou le festin du pierre“ bezogen. Auch Béjart hat sich schon einmal mit Molière befasst: 1976 in „Le Molière imaginaire“ (und schon vorher, 1962, mit Don Juan in „À la recherche de Don Juan“).

Eifman lässt Molière seinen Helden Don Juan beim Dichten erfinden (wie Maximiliano Guerra in seinem Stuttgarter „Don Quixote“ den Cervantes seinen Ritter von der traurigen Gestalt) und kreuzt dann beider Schicksale als unterschiedlich erfolgreiche Liebhaber – wobei er als zusätzliches dramaturgisches Agens die Rollen der Armande und Donna Anna und die Rollen der Madeleine und Elvira von jeweils einer Tänzerin darstellen lässt. Das ist ein bisschen verwirrend, zumal da die Charaktere – übrigens auch die von Molière und Don Juan – choreografisch sich kaum voneinander unterscheiden – Hilfestellung liefern dabei eher die Kostüme.

Die Charakterisierungen der Figuren – auch des Corps´ – sind ziemlich einförmig, mit ein paar aufgepfropften Kicks und Macken, in den großen Corpsformationen immer schön revuemäßig in Reihen gestaffelt, frontal auf das Publikum zubrandend oder in Ringelpietzkreisen rotierend. Es wird viel gesprungen und gedreht, aber es sind eigentlich immer die gleichen Sprünge. Die Hauptrollen sind alle dreifach besetzt (in meiner Vorstellung mit Albert Galitschanin als Molière, Juri Ananian als Don Juan, Natalia Poworodzniuk als Armande/Donna Anna, Alina Solonskaja als Madeleine und Elvira, Sergei Simin als Sganarelle und Oleg Markow als Kommandeur (der hier der Gatte von Donna Anna) ist.

Nur der Sganarelle (als Diener von Don Juan) besitzt eigene choreografische Kontur – dank seiner vielen Bodenturnereien. Die Damen sind durchweg von einer robusten Drallheit und pausbäckigen Sinnlichkeit, die Burschen protzen mit ihrer muskulären Virilität. Das macht natürlich seinen theatralischen Effekt, zumal Eifman immer auch ein paar humoristische Pointen bereithält (besonders in der Szene im Nonnenkloster und bei der Fresserei der Damen an der Festtafel).

Das ist alles ziemlich grobschlächtig in Szene gesetzt – eben in bewusstem Gegensatz zur Marientheater-Hochkultur, aber es ist nicht abzustreiten, dass das Ganze seinen Effekt macht: eine Art getanzter Komödienstadl, sinnlich, derb, handfest zupackend, strotzend von guter Laune, ohne viel Federlesen und Raffinement. Es ist russisches Bauerntheater, getanzt. Vielleicht leben hier ja noch letzte Überreste der Skomorochi, der russischen Gauklertruppen des Mittelalters und des Leibeigenentheaters fort, wie es sich vermögende russische Gutsbesitzer in früheren Jahrhunderten leisteten.

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