EA „A Cinderella Story“ (John Neumeier) Bayerisches Staatsballett

München, 04/04/2000

Zum Auftakt seiner diesjährigen Ballettwoche im Münchner Nationaltheater hat das Bayerische Staatsballett sein Repertoire mit der Erstaufführung von John Neumeiers abendfüllendem „A Cinderella Story“ um ein weiteres Standardwerk der klassischen Ballettliteratur bereichert. Der Hamburger Ballettchef ist im Jahre 1992 in dieser Fassung einen Schritt über seine seinerzeitigen abendfüllenden Choreografien hinausgegangen. Er wagte sich wieder, auf eine „gebrochene Dramaturgie“ zu verzichten, eine Geschichte ohne Zeitsprünge am Anfang zu beginnen, sie konsequent bis zum Ende durchzuführen und dennoch den Eindruck von etwas ganz Neuem, Ungewohntem zu vermitteln. Neumeier hat Sergej Prokofjews „Cinderella“ (Aschenputtel) gründlich entschlackt, lieb gewonnene Details fortgelassen (Sortieren der Erbsen, Durchprobieren des gläsernen Schuhs und anderes) und eine schlankere, durchaus märchenhafte, zuweilen auch rätselhafte Story geschaffen.

Das Stück beginnt mit der Beisetzung von Cinderellas Mutter, die danach die Rolle der guten Fee übernimmt, die ihre Tochter schützend durch das Leben geleitet, unterstützt durch vier blaue Vogel-Geister. Cinderella (Maria Eichwald) ist nicht mehr das willig duldende Hascherl, vielmehr ein zunehmend selbstbewusster und kratzbürstiger Teenager, der sich dem Prinzen (Luca Masala) nicht an den Hals wirft, sondern von ihm erobert werden will. Er hat Cinderella bei der Beerdigung gesehen (was er dort wollte, ist Neumeiers Geheimnis) und sie begeistert auf seinen Skizzenblock gebannt. Beim Ball stellt sie ihm einen Schuh hin und entschwindet freiwillig (warum?) – nun kämpfe um mich! Das tut er nicht, sondern findet sie nach Jahren des rastlosen Wanderns in einem Haselstrauch wieder. Die Stiefmutter (Judith Turos) und ihre Töchter (Irina Dimova und Lisa-Maree Cullum) sind nicht hässliche Furien, sondern hübsche, aber oberflächliche Schickimicki-Girls.

Das ist klar und unverklausuliert geschildert, kühl, zart, poetisch und humorvoll, ohne choreografische Sperenzchen, mit würzenden Beigaben, wie dem Bücherwurm-König oder seinen nickenden Zappel-Ministern (Udo Kersten, Patrick Teschner und Roland Podar), die ein gewaltiges Sprungpensum zu absolvieren haben. Die Münchner tanzen in bester klassischer Manier, mit viel Geschmack und in bester Homogenität – Ballett wie aus einer anderen Welt.

Zu diesem höchst eleganten, kunstvoll arrangierten Gesamteindruck trägt Jürgen Roses ungewöhnliche Ausstattung ein gerüttelt Maß bei. Wie schon bei seiner Stuttgarter „Kameliendame“ verzichtet er völlig auf ein konventionelles Bühnenbild, sondern schafft mit einem riesigen, schattenlosen Lichtschacht (Beleuchtung: Max Keller), farbig exquisit abgestimmten Kostümen und wenigen Requisiten eine kostbare, gleichsam magische Atmosphäre. Ein Ballett, in dem sich Tanz und Raum vollkommen ergänzen. Allerdings scheint sich Neumeiers oft chiffrenartige, manchmal wie am Reißbrett entworfen wirkende Choreografie im Laufe der Jahre etwas überlebt zu haben. Es gibt erhebliche Längen in ihr und man wünscht sich oft einen rascheren und etwas blutvolleren Fortgang der Handlung. Aber alles in allem können sich die Münchener Fans über ein gutes, neues Stück freuen. André Presser führt das Staatsorchester tempisicher durch Prokofjews beinahe kammermusikalisch luftig dargebotene Musik.

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