Bayerisches Staatsballett

München, 04/12/1999

Mit seiner ersten großen Premiere dieser Spielzeit hat das Bayerische Staatsballett zwar ein optisch überaus attraktives Programm aus drei kürzeren Werken ins Repertoire bekommen - mit dem künstlerischen Ertrag hapert es allerdings etwas. Entsprechend unterschiedlich war der Applaus. Der Abend wurde mit der Erstaufführung des Meisterwerks „The Second Detail“ von William Forsythe eröffnet, mit dem der Frankfurter Ballettchef auf vielen Bühnen der Welt Furore macht. Die bestens trainierten Münchner Damen und Herren bleiben diesem neoklassischen Parforceritt zu Thom Willems‘ elektronischen Gewitterschlägen kaum etwas schuldig. Man könnte sich das vielleicht etwas rasanter und aggressiver vorstellen, aber wie sie in hellgrauen Trikots auf der hellgrauen Bühne im hellgrauen Licht Energiestöße aus der Körpermitte in ihre Glieder schießen lassen, drehen, springen, sich zu immer neuen Mustern formieren und ein Feuerwerk tänzerischer Husarenstücke abbrennen - das hat schon was.

Auf den ersten Blick trifft das auch auf die Uraufführung von Amir Hosseinpours Version des Tanzklassikers „Petruschka“ zu. Auf den zweiten entpuppt sich das Stück allerdings als ein choreografisches Leichtgewicht. Der in London lebende Iraner hat in München bereits mehrfach erfolgreich Operneinlagen geschaffen. Um mit zwanzig Minuten Aufführungsdauer hinzukommen, kochte er aus verschiedenen Fassungen von Igor Strawinskys berühmter Komposition ein neues Musiksüppchen, zu dem er sich eine putzmuntere Slapstick-Revue für sieben Tänzer und eine große Statistenschar hat einfallen lassen. Zwar ist die Grundstruktur des Werkes erhalten geblieben, aber Hosseinpour geht es nur um die Identitätsfindung von Individuen. Das stellt er durch ein rasantes, heiteres Gesten- und equilibristisches Bewegungspuzzle dar, mit dem er sein Publikum trefflich amüsiert. Am Ende gebiert eine Frau einen Pass, welcher der brillanten Beate Vollack als Gesicht dient und ihr erlaubt, sich mit Dirk Segers in einen tollen Pas de deux zu verhakeln. Das freut ein riesiges Skelett. Es schnappt sich die große gelbe Wand, schleppt sie in den Bühnenhintergrund und schafft somit endlich Lebensraum für die neue Bürgerin. Die sexy-bunte Ausstattung besorgte Nigel Lowery. Wirklich lustig und frech, aber doch eher eine Pièce für einen Galaabend, als ein belangvolles Ballett fürs Repertoire.

Saburo Teshigawara, als choreografierender Performer von großem Ruf, spricht im Programmheft zwar äußerst sensibel über Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“. Wenn wir aber seine Uraufführung zur Musik dieses Schlüsselwerks des modernen Tanzschaffens betrachten, so müssen wir konstatieren, dass sich Teshigawara schwer verhoben hat. Einerseits wird er seinem Ruf, die „Luft tanzen zu lassen“, vollauf gerecht. Andererseits erweist sich, dass er mit den köstlich wehenden Armen und sich windenden Körpern der vierzehn Damen und Herren, die er in Baumwollslips und weiße Mieder, sowie schwarze Hosen und T-Shirts kleidete, Strawinskys archaischer und barbarischer Komposition nichts entgegen zu setzen hat. Am Ende bleibt auch ihm nichts übrig, als sein Personal wuchtig hüpfen zu lassen. Ein Designer-Ballett mit Ikebana-Choreografie. Aber welcher grelle, scharfe, rhythmisch präzise, fein ziselierte und heidnisch wilde Klang bricht aus dem Orchestergraben hervor! Das Bayerische Staatsorchester unter Markus Lehtinen hat jedes der Bravos verdient, die Teshigawara zu Recht versagt worden sind.

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