Alexander von Swaine mit Dore Hoyer, Lisa Czobel und Mary Wigman

Alexander von Swaine mit Dore Hoyer, Lisa Czobel und Mary Wigman.

Zu Unrecht vergessen

Ein Film über den Tänzer Alexander von Swaine

Die Dokumentation „Ein Faun unter Menschen - Der Tänzer Alexander von Swaine“ von Felix von Boehm und Ralf Stabel ist eine Spurensuche und hat nun im Berliner Georg-Kolbe-Museum im Rahmen der Ausstellung „Der Absolute Tanz. TänzerInnen der Weimarer Republik“ Premiere.

Berlin, 12/08/2021

Als er erstmals die Bühne betrat und tanzte, zunächst in den Aufführungen der Berliner Eduardowa-Schule, wo er bestens und grundlegend in den klassischen Techniken ausgebildet wurde, war die Aufmerksamkeit geweckt. Als der 1905 in München geborene Tänzer Alexander von Swaine in seinen ersten Soloauftritten geradezu revolutionär Traditionen klassischer Techniken des Tanzes mit denen höchst individueller, und somit zeitgenössischer Kunst des tänzerischen Ausdrucks verband, überschlugen sich die Kritiken vor Begeisterung. Im Rückblick scheint es geradezu programmatisch wie schicksalhaft, dass beim ersten Soloabend Alexander von Swaines, 1929 im Beethoven-Saal der Berliner Philharmonie, eine eigene choreografische Solodeutung von Claude Debussys sinfonischer Dichtung „Prélude à l'après-midi d'un faune“ stand. Ein Wagnis, ein Gewinn.

Natürlich lagen die Vergleiche mit der letztlich revolutionären, seinerzeit aber auch noch als skandalös empfundenen Deutung der Ballets Russes und ihres Symboltänzers Vaclav Nijinsky, die 17 Jahre zuvor in Paris herausgekommen war, nahe. Für manche Kritiker stand Alexander von Swaine dem Tanzgenie Nijinsky nicht nur in künstlerischer Konstruktivität sehr nahe, für mache sogar mit dieser Leistung über ihm. Alexander von Swaine, „tanzende Feuerseele“, wie ihn ein Kritiker nannte, setzte bis dahin so noch nicht wahrgenommene, vor allem aber zukunftsweisende Akzente für die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes, mit denen er weit über bis dahin wahrnehmbare Ansätze des Deutschen Ausdruckstanzes hinauswies. Kein Geringerer als Max Reinhardt verpflichtete ihn sofort an das Deutsche Theater in Berlin, wieder für eine faunische Rolle, die des Puck in „Ein Sommernachtstraum“.

Nahezu unbegrenzt schienen seine Möglichkeiten der Präsenz rein körperlicher Ausdruckskraft in den Beschreibungen seiner Auftritte. Aber das war es nicht allein, hinzu kam immer wieder die dem Tanz ja so unbedingt eigene Sinnlichkeit faunischer Ambivalenzen, der Übergang von animalischen Empfindungen hin zur künstlerischen Gestaltung im so bewegten wie bewegenden Dialog der sichtbaren und hörbaren Kontexte von Bewegung, Klang und Raum. Das spiegelt sich in den von ihm gewählten Themen, orientiert an Meisterwerken bildender Kunst, wie den „Capriccios“ von Goya, an Motiven folkloristischer Traditionen oder wenn es an die Ursprünge des Tanzes in grenzüberschreitender Suche nach existenziellem Halt geht, wie in seiner Kreation „De profundis“.

Inzwischen sind aus den berühmten goldener zwanziger Jahren in Berlin braune Jahre geworden. Auch wenn die nun immer stärker politisch gelenkte Kulturpolitik vor allem dem propagandistischen Ausdruck des Tanzes verpflichtet ist, mit Künstlern wie Alexander von Swaine, inzwischen auch im Ausland gefragt und berühmt, schmückt man sich gern. So erklärt es sich, dass es Minister Goebbels persönlich ist, der für Alexander von Swaine, der als homosexueller Mann wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 175, aufgrund einer Denunziation zur Haft im Konzentrationslager Lichtenburg verurteilt wurde, bei Aussetzung der Strafe auf Bewährung frei kommt.

Es ist eine bittere Ironie des Schicksals, dass Alexander von Swaine, ganz sicher nicht zufällig, Deutschland verlässt, sich auf eine Welttournee begibt, dass bei seinem Gastspiel im damaligen niederländischen Indonesien der zweite Weltkrieg ausbricht, und er ein Feind ist. Über sieben Jahre wird er in Internierungshaft verbringen müssen. Auch in einem Lager am Fuße des Himalaya. Und der Tänzer, gerade in seinen besten Jahren, gibt nicht auf, der Tanz hört nicht auf, nicht auf Bühnen und Podien wie bislang, jetzt in der so kommunikativen wie assoziativen Sprache der Bewegungen zufällig in der Internierung zusammengefügter Menschen. Längst ist dem Künstler klar, es geht ihm nicht darum, anzukommen, es geht darum in der Bewegung zu sein, unterwegs zu sein, ganz direkt als Reisender, symbolisch, in der tanzenden Welt der Gedanken. Mit 60 Jahren beendet er seine Karriere als Tänzer. In Mexiko arbeitet er als Ballettlehrer für Kinder. Sein Leben ist bescheiden, Verwandte aus der Schweiz unterstützen ihn. 1990 stirbt Alexander von Swaine, fern seiner Heimat. Er beendet seinen Lebenstanz versöhnt, in einem seiner letzten Briefe schrieb er: „Ich bin dankbar und zufrieden mit meinem Leben und möchte es nicht anders gehabt haben. Und wenn eines Tages Freund Hein kommt, so ist er willkommen ohne daß ich nach ihn lechzen würde.“

Aber es dürfte sich ändern. Schon das Buch „Alexander von Swaine. Tanzende Feuerseele“ von Ralf Stabel, 2015 im Henschelverlag erschienen, weckte großes Interesse. Dabei war Stabel ja selbst erstaunt, als er auf Alexander von Swaine aufmerksam gemacht wurde, dass es über ihn so gut wie keine Informationen gab. Also machte sich der renommierte Berliner Tanzhistoriker daran, Leben und Werk zu erkunden und „war von Tag zu Tag mehr erstaunt über seine einzigartig-erfolgreiche künstlerische Arbeit und über die extremen „Tiefschläge“, die er in seinem Leben hinnehmen musste“. Stabel betont im Gespräch, dass er bisher über eine Reihe Tanzender des 20. Jahrhunderts recherchiert und publiziert habe, aber „über niemandem sonst gab es derart viele Superlative in den Medien wie über ihm. Und nur sehr wenige mussten die Haft im Konzentrationslager und jahrelange Internierung überstehen. Ich war und bin tief berührt, wie er als Mensch sein Leben in den Wirren des 20. Jahrhunderts aufrecht und aufrichtig gemeistert hat."

Und nun ist es wahrhaft grandios, dass im vergangenen Jahr, 30 Jahre nach dem Tod Alexander von Swaines, Ralf Stabel gemeinsam mit dem Grimme-Preisträger Felix von Boehm, einen dokumentarischen Film mit dem Titel „Ein Faun unter Menschen - Der Tänzer Alexander von Swaine“ entwickelte. Die Premiere kann aus bekannten Gründen nun stattfinden und dies im Berliner Georg-Kolbe-Museum im Rahmen der Ausstellung „Der Absolute Tanz. TänzerInnen der Weimarer Republik“. Dieser Film lässt zum einen in Gesprächsmitschnitten Alexander von Swaine selbst zu Wort kommen, natürlich ist der Tänzer - wenn auch nur kurz - in der faszinierenden Präsenz seiner Bewegung in einem Filmausschnitt zu sehen. Es gibt dennoch ungeahnte dynamische Wahrnehmungen in diesem Film, der in Kooperation mit dem Deutschen Tanzarchiv Köln und der Ferdinand Moeller Stiftung entstanden ist. Von besonderer Eindringlichkeit sind persönliche Erinnerungen, wie die seiner zeitweiligen Tanzpartnerin Gisela Peters-Rohse oder des Pianisten Hartmut Klug, der die Welttourneen Alexander von Swaines mit Lisa Czobel begleitete. Verwandte kommen zu Wort, ebenso Frank-Manuel Peter vom Kölner Tanzarchiv und Ferdinand Moeller.

Durch sensible Kommentierung gelingt es Zusehende mitzunehmen auf diese tanzende Lebensreise eines Fauns unter Menschen. Wichtig aber auch vor allem, wenn Ralf Stabel in einem abschließenden Kommentar darauf verweist, dass Alexander von Swaine ein Opfer des Faschismus war, dass er interniert war, als andere Größen des Deutschen Tanzes, Wigman, Paluccas oder Kreuzberg, die medialen Mittel des Dritten Reiches sich Nutzen machten, er längst Grenzen gesprengt hatte, nicht lediglich in Nachbarländern gastierte, sondern ein wahrhafter „tanzender Weltstar“ war. Ein Film wider das Vergessen. Ein Film schmerzhafter Erinnerungen, ein Film zur rechten Zeit.

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