Trost gegen Trauma

„LJHELM“ von Didier Théron eröffnet die Französische Woche in Heidelberg

Der französische Choreograf Didier Théron präsentiert erstmals sein energiegeladenes Tanzstück in Deutschland.

Heidelberg, 14/10/2018

Didier Théron, Choreograf aus Heidelbergs Partnerstadt Montpellier, war der heimliche Star der diesjährigen Heidelberger Tanzbiennale, obwohl sein Signaturstück „LJHELM“ nicht wie geplant erstmals in Deutschland gezeigt werden konnte. Hier sprang Dr. Erika Moursa, Leiterin der Französischen Woche Heidelberg, beherzt ein und lud Théron mit seiner Tanzkompanie ein zweites Mal in die Hebelhalle ein. Zur Eröffnung der 13. Wiederkehr des bewährten Festivals – das mit 50 Programmpunkten und zehntägiger Dauer das wichtigste Nachbarland in den Brennpunkt rückt – konnte das versäumte Stück endlich über die Bühne gehen. Oder vielmehr rennen – denn zwei Tänzer und eine Tänzerin, denen Théron das Schicksal des vorigen Jahrhunderts auf die Schultern gebürdet hat, rennen tatsächlich durch die gesamten 55 Minuten von „Le jeune homme et la mort“, kurz „LJHELM“.

Vom Band erklingt Ravels „Daphnis und Chloe“, eigentlich eine Ballettmusik und zugleich ein Schlüsselwerk Ravels, in dem er das ganze Getöse des beginnenden 20. Jahrhunderts eingefangen hat. Dort beginnt auch die Recherche des Choreografen, der den traumatischen Spuren des ersten Weltkriegs folgt. In seiner eigenen Familie hat er die Erfahrung gemacht, wie Traumata von Generation zu Generation weitergereicht werden.

Théron ist Meister der Reduzierung – vom schweren psychischen Gepäck bleiben in seiner Choreografie nur Bewegungen übrig, die das Laufen schwerer machen und von Tänzer zu Tänzer weitergereicht werden. Wenn man ein Etikett für seine Bewegungssprache suchen müsste, wäre es „minimal dance“, aber das würde dem Stück nur zum Teil gerecht werden. Hier wird zwar von einer einzigen, energiegeladenen Bewegung ausgegangen, eben dem Rennen, aber zugleich werden grundsätzliche Lebenserfahrungen intensiv verdichtet. So hält das unprätentiöse Stück eine hohe Spannung und Emotionalität. Wenn die drei Protagonist*innen gegen alle fast physisch greifbaren Widerstände solidarisch zusammenfinden und ihre Energien bündeln, ohne die Eigenständigkeit aufzugeben – dann versteht man, warum Théron das Programm des Abends überschrieben hat mit dem Titel: „2018, célébrer la jeunesse“. Es ist die vielbeschworene Fähigkeit zur Resilienz, aus der diese Choreografie Trost gegen Traumata wachsen lässt.

Der inneren Energie ist Théron auch in seiner Version des nicht nur in der Musik-, sondern auch in der Tanzszene höchst populären „Bolero“ von Ravel auf der Spur. Das Stück für drei Tänzer, die hier ebenfalls von einer fast simpel erscheinenden Grundbewegung ausgehen, hatte schon auf der Tanzbiennale Begeisterungsstürme ausgelöst. Hier wird gelaufen oder gesprungen – also das Gewicht in permanentem Wechsel von einem Bein auf das andere verlagert. Die Bewegungslinien der Tänzer*innen im exakt abgeklebten Bühnengeviert sind strenger Geometrie geschuldet. Der Rest der Choreografie ist Energie pur: Eine schier unerträgliche physische und psychische Spannung explodiert regelrecht in hoch emotionalen tänzerischen Ausbrüchen – so viel kann „minimal dance“.

 

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