„Melodious gimmick to keep the Boys in Line“ von Marc Spradling. Tanz: Ami Morita, Matteo Miccini, Roger Cuadrado und Louis Stiens

„Melodious gimmick to keep the Boys in Line“ von Marc Spradling. Tanz: Ami Morita, Matteo Miccini, Roger Cuadrado und Louis Stiens

Auftakt der Festwoche zu Ehren von Reid Anderson

„Skizzen“ und „Forsythe/ Goecke/ Scholz“ beim Stuttgarter Ballett

Viele Tänzer, Choreografen und auch Ballettdirektoren haben sich in ihrer alten Heimat versammelt, um den langjährigen Direktor des Stuttgarter Balletts, Reid Anderson, zu ehren.

Stuttgart, 21/07/2016

Schon seit John Crankos Zeit ist das Stuttgarter Ballett eine Choreografenschmiede, auf die viele Kompanien mit Neid blicken können. Cranko selbst ermutigte zahlreiche Talente zur Choreografie – unter anderem seinen Londoner Kollegen Kenneth MacMillan –, und die Namen der bedeutenden Schöpfer, die dem Stuttgarter Ballett entstammen, sind allseits bekannt. Reid Anderson, seit 1996 Direktor des Stuttgarter Balletts und Entdecker einer eindrucksvollen Zahl von Tänzern und Tanzschöpfern, setzt diese Tradition fort; bis heute gehen aus den unter Cranko eingeführten Noverre-Abenden immer wieder choreografische Hoffnungsträger hervor.

Viele dieser Tänzer, Choreografen und auch Ballettdirektoren – Letzteren waren die ersten Tage der Festwoche gewidmet – haben sich nun in ihrer alten Heimat versammelt, um den langjährigen Direktor des Stuttgarter Balletts, Reid Anderson, zu ehren. Einige von ihnen präsentierten ihre Ballette im „Skizzen“-Abend, der eine Serie von Aufführungen des Stuttgarter Balletts eröffnete.

Die „Skizzen“ waren weniger ein ‚best of’ der Stuttgarter Uraufführungen der letzten zwanzig Jahre als ein ‚all you can show’ innerhalb von zwei Stunden im sehr intimen Kammertheater. Das waren größtenteils Soli, Pas de deux und kleine Gruppenszenen, die von den Stuttgarter Tänzern mit Energie und Hingabe dargeboten wurden, jedoch nicht unbedingt einen repräsentativen Eindruck von der außergewöhnlichen Qualität der Stuttgarter Uraufführungen der letzten zwanzig Jahre gaben (von Wayne McGregors „Nautilus“ zu Mauro Bigonzettis „Kazimir’s Colours“ oder Christian Spucks „dos amores“) – zahlreiche Stücke ähnelten sich in der Ästhetik, und man sah viel post-Forsythesche Coolness, Virtuosität und die Präsentation athletischer und höchst dehnbarer Körper, oft bei spärlicher Beleuchtung. In einigen Stücken war eine gequälte Note zu spüren, wie in Louis Stiens Solo „The Boy“, in dem sich Robert Robinson bis zum Umfallen in militärischer und tänzerischer Disziplin übte. Bridget Breiner brachte in „Sirs“ eine offener humorvolle Note in den Abend – Alicia Amatriain, die Gewinnerin des letzten Prix Benois de la danse, flog dort mit genauso bestechender Leichtigkeit in die Arme verschiedener Männer wie im Freiertanz aus Christian Spucks „Lulu“, der den Abend beschloss. Zu den weiteren Höhepunkten zählten einige Passagen in Demis Volpis „Big Blur“: Elisa Badenes und Angelina Zuccarinis kraftvolle, froschartige Sprünge auf Spitze sowie das Schlussduo von Badenes und Matteo Miccini, in denen die Körper und Arme der beiden denen einer Spinne glichen. Friedemann Vogel beeindruckte im Schlusssolo von Marco Goeckes „Orlando“ – eines der zahlreichen abendfüllenden Handlungsballette, die in den letzten Jahren in Stuttgart entstanden.

Einige der etablierten Choreografen des Stuttgarter Balletts wurden im Ballettabend „Forsythe/ Goecke/ Scholz“ geehrt. Das Programm begann mit William Forsythes „The second detail“, ein Werk, das Reid Anderson 1991 für das National Ballet of Canada in Auftrag gab und das dieses Jahr erstmals in Stuttgart zu sehen war. Interessant war der Vergleich mit Forsythes jüngster Kreation „Blake Works I“ für die Pariser Oper: dort wählte Forsythe sehnsüchtige Popmusik von James Blake und kehrte zu einer erstaunlich klarlinigen neoklassischen Bewegungssprache zurück, die er mit zahlreichen Anspielungen auf die Ballettgeschichte durchsetzte. Die Brüche waren subtil – asymmetrische Gruppenszenen, ein Street Dance-ähnlicher Tanzwettbewerb auf Spitze, discoartige Moves, ein Tänzer im T-Shirt, der sich zwischen den Ecole de danse-Trikots hindurchschlängelt... Im 25 Jahre älteren kanadischen Werk zu Thom Willems härteren und abrupteren Rhythmen war die Brechung deutlicher, fast ironisch personifiziert durch eine barfüßige Tänzerin mit leuchtend rotem Haar und weißem Kleid (Magdalena Dziegielewska), die wie ein Wirbelwind in die coole, graue, in „In the Middle“-Manier überdehnte und zackige Forsythe-Neoklassik eindrang und schließlich zusammenbrach wie das Opfer in Nijinskys „Sacre du printemps“.

Gefolgt wurde das Stück von Marco Goeckes unruhig vibrierendem „Lucid Dream“ zum Adagio aus Mahlers 10. Sinfonie, in dem sich Agnes Su und zehn Männer in bewährter und inzwischen bereits kopierter Goecke-Ästhetik - schwarze Hosen, (fast) nackte Oberkörper – marschierend, hechelnd und gestikulierend bis an den Rand des Menschenmöglichen tanzten. Der Abend endete mit Uwe Scholz optimistischer „Siebter Sinfonie“ von Beethoven, in der sich die Kompanie, angeführt von Anna Osadcenko und Constantine Allen, in sehr guter Form zeigte. Ein beschwingter Auftakt einer spannende Vorstellungsserie, in der neben Crankos drei großen Handlungsballetten zwei Galas zu sehen sein werden: eine der John-Cranko-Schule und die Abschlussgala des Stuttgarter Balletts mit renommierten internationalen Gästen.

Besuchte Vorstellungen: 18. und 19.07.16
www.stuttgarter-ballett.de

 

Kommentare

Noch keine Beiträge