Die Proben laufen auf Hochtouren am Ballett Thüringen.
Die Proben laufen auf Hochtouren am Ballett Thüringen.

Wie man ein Ballett komponiert: Teil 2

Ein Blog über eine Komposition für das Ballett Thüringen

Die erste Orchesterprobe meiner Ballettkomposition „Waiting Room” hat vor wenigen Tagen stattgefunden. Ein Orchester live zu erleben ist immer ganz besonders – in diesem Falle sind es 50 Musiker in einem wunderschönen Konzertsaal, die alle zusammen kommen, um unter der Leitung ihres Dirigenten Musik zu kreieren.

Gera, 04/06/2014

Von Tom Hodge (Übersetzung: Isa Köhler)

„OA1“ las ich am Aushang des Opernhauses in Gera. Orchester Alleine Eins. Die erste Orchesterprobe meiner Ballettkomposition „Waiting Room” hat vor wenigen Tagen stattgefunden. Ein Orchester live zu erleben ist immer ganz besonders – in diesem Falle sind es 50 Musiker in einem wunderschönen Konzertsaal (der doppelt so groß ist wie der Probenraum der Thüringen Philharmonie), die alle zusammenkommen, um unter der Leitung ihres Dirigenten Musik zu kreieren. Aufgrund der Logistik zwangsläufig meist sehr kostspielig, sind Proben mit einem kompletten Orchester etwas umso Wertvolleres. „Waiting Room” hat fünf „alleinige Orchesterproben“ – jede zweieinhalb Stunden lang. Das mag vielleicht nach viel klingen, aber bei über 80 Minuten Musik, erlaubt dies nicht viele Durchläufe, geschweige denn eine detaillierte Auseinandersetzung mit den 19 Sätzen, die in Korrespondenz zu den verschiedenen choreografischen Szenen stehen. Nach den „OAs“ kommen die Tänzer für fünf weitere Proben dazu und danach... ja dann schließen sich die Zuschauer für die Premiere an!

Meine größte Angst vor der allerersten Probe waren mögliche Schreibfehler, die nicht der Musik entsprechen. Egal, wie gut eine 245 Seiten starke Partitur auch lektoriert wird, es findet sich eigentlich immer etwas, das schief klingt. Glücklicherweise machte sich am Ende das unermüdliche Korrekturlesen von meinem Assistenten und mir bezahlt. (Der Applaus geht hier wesentlich an Chris Warner für sein unglaubliches Engagement in der Ausarbeitung vieler besonders schöner Teile.) Zugegebenermaßen war nun die Englischhornistin ein wenig irritiert, dass ihr großes Solo in „For the love of a wheelie dog” plötzlich durch 50 Takte Pause ersetzt wurde, aber abgesehen davon, konnte ich ziemlich in die Feinheiten eintauchen – um hier und da Klangfarben zu richten sowie Dynamik und Artikulation zu überarbeiten, damit sie zu dem jeweiligen Musiker und dem Live-Klang, den ich hörte, passen - und auch meine gesamte rhythmische Vision für das Stück deutlich vermitteln.

Es gab große Erwartungen – nicht zuletzt von mir selbst – wie der Computer, dem ich dem Orchester hinzugefügt hatte, sich mit 50 akustischen Instrumenten verstehen wird. Es schien mir eine ganz runde, natürliche Sache zu sein, den Computer in die Mitte meines Symphonieorchesters zu platzieren. Nenn mich einen Scharlatan-Medien-Komponist, der E-Musik schreibt, aber ohne Musiktechnologie wäre diese Ballettkomposition nicht möglich gewesen. Ich will nicht falsch verstanden werden, ich habe ein gutes Theorieverständnis – zumindest genug, um meinen Master-Abschluss am Royal College of Music zu schaffen – aber erst Technologie erlaubt es grundsätzlich in einer Geschwindigkeit zu arbeiten, die andernfalls unerreichbar wäre. Dies ist bloß die praktische Seite von Technologie. Viel wichtiger ist die unendliche kreative Freiheit, die sie mit sich bringt und die faszinierenden Möglichkeiten traditionelle mit ultra-modernen Strukturen zu mischen. Alles zusammen zum ersten Mal zu hören, fühlte sich zweifellos wie die ultimative Begegnung zwischen analog und digital an.

Silvana Schröder war gerade dabei, ihre choreografische Arbeit abzuschließen und ich hatte das Glück, ein wenig an diesem kreativen Prozesses teilhaben zu können. Ich schaute zu, wie sie den Teil des Stücks choreografierte, der auf puren Soundeffekten basierte und der musikalisch genauso im Ballett bleiben wird – vorab aufgenommen und ganz ohne Orchester. Das hieß, dass für dieses eine Mal mein Kopf nicht davon abgelenkt war, wie wir wohl jede kleine Nuance aus der Live-Musik herausholen könnten, und so hatte ich Zeit über den choreografischen Prozess nachzudenken. Ich stellte einige Gemeinsamkeiten zum Komponieren fest, beziehungsweise insbesondere zur Orchestrierung – auch wenn dies eine wesentlich sozialere Variante ist, im Vergleich zum einzelgängerischen Leben eines Komponisten. Einzelne Tänzer muteten wie bestimmte klangliche Themen an, oder sogar Musiknoten. Sie warten geduldig, solange sich die Idee von ihrem bloßen Dasein in Silvanas Kopf bis zu ihrer Ankunft auf der Bühne entfaltete – fast wie ein außergewöhnlicher oder überraschender Akkord, der auf seinen Moment wartet, während einer sich entwickelnden Harmonie.

Die Tänzer werden zu rhythmischen Zellen der Bewegung, dann zu Gruppen aus diesen Zellen, mit Silvana, die dafür Sorge trägt, dass eine Interaktion stattfindet - oft kontrapunktierend oder im Kanon, manchmal auch unisono. Die führenden Tänzer würden eventuell ein Solo zu dieser Bewegungsstruktur anbieten, sowie ein einzelnes Instrument dies über das Orchester legen würde. Ferner fügt sich die Chorografie zusammen, reflektiert, re-interpretiert und wiederholt sich, wie auch musikalisches Material dies in jedweder klassischen Form macht – als Sonate oder Tokkata und natürlich als Fuge – aber die Währung ist die Bewegung an Stelle der zwölf Noten der Tonleiter. Und um die Analogie zwischen Mensch gegen Maschine auch noch anzuführen, Silvanas zwei Assistenten, Maud und Marian, schreiben schnell und präzise jede Bewegung und Nuance nieder, so dass sie direkt wieder getanzt werden kann – fast als würde mein Computer unmittelbar meine letzte Komposition abspielen.

Der nächste aufregende Schritt wird es sein, die Musikproben von dem stark hallenden Saal in den trockenen Orchestergraben zu verlegen, was wieder viele neue Fragen aufwerfen wird bezüglich des Ensembles, der Struktur und Klangfarbe. Und dann ist da noch diese kleine Sache, die 22 Tänzer mit dem Orchester zusammenzuführen. Mit der Bühnencrew selbstverständlich ebenso, was ungefähr 100 simultan bewegliche Elemente bedeutet. Die Premiere nähert sich rasant. In meinem dritten Teil der Serie „Wie man ein Ballett komponiert“ werde ich die Premiere Revue passieren lassen. Jetzt wünsche ich allen „Toi Toi Toi!“!

Erstmals veröffentlicht am 28.5.2014 online bei Huffington Post / Huffpost Culture Großbritannien unter dem Titel: „How to Write a Ballet: Part Two“
 

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