Zum Gesetz gegen „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ in Russland

Ein Statement von Hamburgs Ballettchef John Neumeier

Hamburg, 25/09/2013

John Neumeier, Ballettintendant und Chefchoreograf des HAMBURG BALLETT, erklärt:

„Ich bedaure das neue Gesetz außerordentlich und halte es für rückwärtsgewandt. Allerdings basieren meine Informationen einzig auf westlichen Pressemeldungen. Das Gesetz im Originalwortlaut konnte ich trotz intensiver Recherche nicht finden und kann daher seine Dimension nicht vollständig einschätzen. Die Frage lautet, wie reagiert man darauf? Darüber habe ich lange und ernsthaft nachgedacht.

Die russische Kultur liegt mir sehr am Herzen. Gerade in Bezug auf das Ballett gehört Russland zu den wichtigsten Nationen der Welt – heute wie gestern. Die Choreografien von mir, die von russischen Compagnien getanzt werden, und die Gastspiele des HAMBURG BALLETT haben in dieser Hinsicht einen besonderen Wert.

Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es im Moment keinen Boykott meinerseits oder seitens des HAMBURG BALLETT geben soll. Mir sind Dialog und Austausch mit Russland sehr wichtig und Boykott – ein Abbrechen des Dialogs – ist nicht, woran ich glaube.

Auch in anderen Ländern muss ich die landesüblichen Gesetze und Traditionen respektieren, so auch in der arabischen Welt, trotz ihrer offiziellen Haltung gegenüber Frauen und Homosexuellen, oder in China, trotz seines Umgangs mit Menschenrechten. Mein Ziel ist, durch Kunst Brücken zu bauen.

Im vergangenen November war ich mit dem HAMBURG BALLETT, dem BUNDESJUGENDBALLETT, der Ballettschule des HAMBURG BALLETT und Teilen meiner Sammlung nach Sankt Petersburg geladen und wir haben auch einen Ausschnitt aus meinem Ballett ›Tod in Venedig‹ gezeigt. Dabei verließen kurz nach Beginn des Pas de Deux zwischen Aschenbach und Tadzio einige Zuschauer unter Protest das Theater. Die große Mehrheit allerdings schaute gebannt zu und klatschte wie zu keinem anderen Ballettausschnitt Beifall.

Im Moskauer Stanislawsky-Theater ist Benjamin Brittens Oper ›A Midsummer Night’s Dream‹ in der Inszenierung von Christopher Alden weiterhin im Repertoire. Der Regisseur verknüpft darin Shakespeares Stoff mit Brittens Biographie. Die Produktion hatte großen Erfolg bei Publikum und Presse und wurde mit der ›Goldenen Maske‹ als beste Operninszenierung ausgezeichnet. Das zeigt mir, dass die Menschen in Russland Ballett und Oper sehen wollen – und sie nach ihrer künstlerischen Qualität beurteilen.

Ich fürchte dennoch, das neue Gesetz schürt Diskriminierung und Gewalt. Die Häufung von Fällen ist bekannt.

Es ist geplant, im März 2014 mein Ballett ›Die Kameliendame‹ im Bolschoi Theater mit der dortigen Compagnie zu zeigen. Ich möchte das Versprechen einhalten, das ich dem Künstlerischen Direktor Sergej Filin gegeben habe. Dieser wurde Opfer des grausamsten Gewaltverbrechens in der Geschichte des Balletts.

Ich will den Austausch mit Russland fortsetzen und weiterhin versuchen mit meinen Choreografien Brücken zu bauen. Ich bin nicht der Mensch, der die Regenbogenflagge schwenkt, werde aber mein Benehmen und Verhalten als Person nicht ändern. Ich äußere auch weiterhin meine Meinung zur Gleichberechtigung von Homosexuellen gegenüber der Presse und freue mich, gemeinsam mit meinem Lebensgefährten die Premiere von ›Die Kameliendame‹ in Moskau im März zu besuchen.

Ich hoffe sehr, dass die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung überall auf der Welt bekämpft und die Freiheit der Kunst geachtet wird.“

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