„Every Single Day“ von Toulla Limnaios

„Every Single Day“ von Toulla Limnaios

Kompostmoderne Liebesmüh

Tanz! Heilbronn: Toula Limnaios eröffnet mit „Every Single Day“ das Festival im Großen Haus

Von Superlativen überschüttet eröffnet die seit 1997 in Berlin lebende Choreografin Toula Limnaios das fünfte Festival „Tanz! Heilbronn“ im Großen Haus.

Heilbronn, 11/05/2013

Von Superlativen überschüttet eröffnet die seit 1997 in Berlin lebende Choreografin Toula Limnaios das fünfte Festival „Tanz! Heilbronn“ im Großen Haus. Wenngleich sich drei Besucher zu Ovationen im Stehen mitgerissen fühlen, bleibt die Produktion „Every Single Day“ nicht nur bei Tanzkennern hinter den Erwartungen an die Pina-Bausch-Adeptin zurück. Sinnlichkeit vermissen die einen, zu konstruiert, meinen andere, von subtiler Ironie keine Spur.

Dass ihre Bearbeitung des Sisyphos-Mythos, „Every Single Day“ (Tag für Tag), trotz licht- und tontechnischer Präzision sowie kompositorisch guter Einfälle (Schuberts „Streichquintett C-Dur“ als Auflösung des allzu erdig irdischen Bühnengeschehens), dem Vorbild nicht das Wasser reichen kann, hat Gründe.

Fluch und Segen der in Athen geborenen Tanztheaterfrau, die nach ihrer Ausbildung an der Folkwang-Hochschule Mitglied des Folkwang-Tanzstudios unter Leitung von Bausch war, ist Pina Bausch. Die bedeutendste Choreografin der Gegenwart hat Maßstäbe gesetzt, an denen sich die Erben messen lassen müssen, die sie aber selten außer Kraft setzen können. Zu sehr an der optischen Oberfläche orientieren sie sich, aus Adepten werden Epigonen.

Während die Bausch ihren Tänzerinnen und Tänzern mit Fragen auf den Leib rückte, sie in den Proben solange ausquetschte – gemäß ihres berühmt gewordenen Diktums „Mich interessiert nicht so sehr, wie sich Menschen bewegen, als was sie bewegt“ – bis sie, vor Erschöpfung, an den schöpferischen Kern der Motivation vordrangen, aus dem etwas Neues, Überraschendes, manchmal erfrischend Ironisches, oft Echtes und sinnlich Bewegendes entstand, fällt Limnaios zurück ins Allgemeine, Unverbindliche. Sie bleibt dem Stoff verhaftet, das Prinzip Wiederholung verharrt im Formalen (anders als beispielsweise in Bauschs „Blaubart“) mit der Folge wachsender Banalisierung.

„Wir müssen uns Sisyphos glücklich vorstellen“ – bemüht dem Thema durch Albert Camus‘ Wendung ins Absurd-Paradoxe (ein glücklicher Sisyphos) einen zeitgenössischen Dreh zu geben, gelingt nicht, stattdessen bedeutungsschwere Symbolik – und Langeweile. Die vier Tänzerinnen (blond, rot, braun und schwarz wohl nach Haarfarbe ausgewählt?) und drei Tänzer bleiben als Persönlichkeiten auf der Strecke: indifferente Akteure, die nach Plan handeln, Humus schaufeln, Erde schippen, Kollegin aus dem Dreck ziehen und auf den Haufen werfen. Die mager bekleidete Frau wieder aufrichten, über die Schultern schleudern und durch den Raum tragen, erhaben bis zum nächsten Fall – Aktionen, die im Subtext geschlechtsspezifische Klischees vermitteln, bis hin zum Schweiß und Dreck verklebten Mann (King Kong oder Neandertaler?), der die Blondine abschleppt.

In dynamischeren Passagen schlittern, rutschen und rollen die Protagonisten über den Boden, wodurch Erde effektvoll aufwirbelt. Versuche sich aufzubäumen versanden. Schließlich schleppen sie den Erdhügel von A nach B, werden schneller, hasten und rennen, um auf dem selbst geschaufelten Hügel erschöpft liegen zu bleiben. Dass als letztes die Asiatin im grünen Satinkleid weiterrennt, mag im Sinne der Farbsymbolik gedeutet werden: Die Hoffnung stirbt zuletzt (oder, politisch unkorrekt, weil rassistisch: Asiaten sind nicht tot zu kriegen?).

Einzig der Soundtrack verleiht dem kompostmodernen Spektakel in dunklen Zimt- und Brauntönen eine neue Dimension. Fein getaktet ist die Collage von Ralf R. Ollertz, die vorgegebenes Klangmaterial elektronisch verfremdet. Das Ticken des Weckers wirkt irgendwann abstrakt, wie ein Metronom. Vierkanalig und stereophon suggeriert das Geräusch trabende Pferde und die Bühne wird in der Imagination zur Manege. Heftiger Atem und verzweifeltes Schreien einer Tänzerin (Live) vermischen sich mit reduzierten Klavier- und Cello-Klängen, um schließlich mit dem Adagio aus Schuberts „Streichquintett C-Dur“ in überirdischer Schönheit zu verhallen – zugleich ein Déjà-écouté, denn dieses Schubertsche Spätwerk (komponiert wenige Monate vor seinem Tod) wurde auch in Filmen verwendet, unter anderem in Jim Jarmuschs „The Limits of Control“, wobei wir beim Festivalthema angekommen sind: Kontrolle.

Pina Bausch hat die Grenzen der Kontrolle erkannt und setzt arbeitsmethodisch auf Vertrauen, statt auf Kontrolle. Die allmähliche Verfertigung eines Tanzstücks beim Proben, der enge freundschaftliche Austausch mit allen Beteiligten, und Titel, die oft erst nach der Uraufführung gefunden werden, sprechen für vertrauensbildende Maßnahmen und einen selbstbestimmten Umgang des künstlerischen Prozesses. Ein etwas zeitaufwändigeres Verfahren, weshalb manche ihrer Tanzstücke länger als ein Jahr bis zur Bühnenreife brauchten. Toula Limnaios hingegen wird für ihre Produktivität gelobt: 32 abendfüllende Stücke in 15 Jahren!

Im Programmheft schreibt Toula Limnaios: „Ich will den verborgenen Menschen zeigen, das, was hinter der Fassade ist.“ Dieses Anliegen verfehlt die Produktion „Every Single Day“. Getrieben von welchen Produktionszwängen auch immer reproduziert sie den mythischen Sisyphos als Stereotyp, rührt eilfertig im Thema, ohne dass je ihre Motivation durchschimmert. So wirkt auch ihr Stück eigenartig fremdbestimmt, wie eine Examensarbeit, die bis zum Abgabetermin durchgepeitscht werden musste.
 

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