„The Seas Between Us“ von Polymer DMT / Fang Yun Lo, Tanz: Chou Shu-Yi, Lee Mun Wai

Er ist ich

„The Seas Between Us“ von Polymer DMT / Fang Yun Lo im Festspielhaus Hellerau

It's complicated – Chinesisch-taiwanesische Konflikte sind hier vor allem innere.

Dresden Hellerau, 30/10/2025

Im Gegenlicht gleißend heller Bodenscheinwerfer bewegen sie sich vor bedrohlich wirkender Soundkulisse langsam auf das Publikum zu. Das machen Chou Shu-Yi und Lee Mun Wai mit Gesten, die durch ihre Unschärfe ambivalent wirken: Schicken Sie winkend einen Gruß oder ergeben sie sich mit dem Heben der Hände, wie zwei gestellte Flüchtlinge? Genau dieses Uneindeutige, das schwer Lesbare daran ist das Komplexe darin. Widersprüche von Anfang an. Und die gilt es hier, auszuhalten.

Diese Widersprüche finden sich schon in den vorherigen Arbeiten Fang Yun-Los, in „Home Away From Home“ oder „Kim“. In beiden thematisiert sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität als Gratwanderung zwischen der taiwanesischen und der chinesischen. Dafür hat ihr Blick eine ordnende Distanz, hier von Deutschland aus, so ziemlich weit weg, räumlich und kulturell. In „The Seas Between Us“ wirkt diese Distanz noch mal ein ganzes Stück effektiver. Ihr Duo ist so reduziert wie konzentriert. Die Komplexität der Frage nach Identität gestaltet sie als persönliche Herausforderung, nicht als rein politische oder ethnische. Damit bietet sie einen kulturübergreifenden Ansatz, an den sich leicht andocken lässt. 

Vereinfachte Komplexität

Aus einer solchen Distanz heraus betrachten auch die beiden Performer die Frage nach der jeweils eigenen Identität. Der eine, der als sensibler Tänzer in der künstlerischen Ausbildung ausschließlich chinesisches Kulturgut vermittelt bekommen hat, sodass er irgendwann nichts Eigenes, seinen eigenen Wurzeln Entsprechendes mehr gesehen hat, spricht nicht darüber. Er kann nicht darüber sprechen, wie er auf ein Blatt Papier schreibt. Zu schwierig sei es. In seinem Kopf hat sich ganz eindeutig ein Gegner eingenistet: „die“. Das demonstrative „pointing the finger“, der abgrenzende Vorwurf reduziert die Sache übersichtlich auf ein schwarz-weißes Niveau. 

Der andere tauchte in seiner Tänzerkarriere schnell in die Tiefen westlicher Einflüsse: Mary Wigman, Kurt Jooss, Merce Cunningham, Martha Graham. Die Liste geht noch lange weiter. Wie mit allen Wassern gewaschen wirkt er dadurch. Rundum angepasst. Sorglos, zuversichtlich. Auch das eine Form der Reduzierung auf in Wahrheit deutlich kompliziertere Umstände. 

Das findet sich auch in den Bewegungsansätzen. Der eine zeigt klassische Ballettansätze, chinesische Traditionen, die auf Sanftheit ausgerichtet sind. Die Übung, in dieser Manier einen Gegenstand vom Boden aufzuheben wirkt fast übertrieben. Das hat viel Introvertiertes, Vergeistigtes, Verletzliches. Entsprechend gegensätzlich fällt die Bewegungssprache des anderen aus. Extrovertiert, lebendig und raumgreifend. Der eine gibt den Ton an; der andere schaut bedeutungsvoll vor sich hin. Und schweigt eben.

Aufeinanderprallen von Vergangenheit und Gegenwart

Das ist alles problemlos goutierbar, solange diese beiden „Persönlichkeiten“ parallel agieren. Dass beide Tänzer hier aber die Repräsentationen zweier Seiten einer Medaille sind, dafür findet die Choreografie ein so simples wie wirkungsvolles Bild. Irgendwann umarmen sich beide stürmisch, mit weit ausgestreckten Armen. Es ist mehr ein Aufeinanderprallen, ein gleichzeitiges gegenseitiges Anziehen und Abstoßen. Ein bisschen, als prallten Vergangenheit und Gegenwart aufeinander. Ein Miteinander aber, so wird deutlich, erscheint kaum möglich. Die Kommunikation will nicht funktionieren. 

Und plötzlich wird deutlich, was das Ergebnis aufgezwungener kultureller Überfremdung ist. Wenn die Grundlage für ein Miteinander entzogen ist, sind Konflikte vorprogrammiert. Auf der Bühne fließt dann Blut. Martialischer Lärm lässt unsichtbare Armeen aufmarschieren. 

Für das Aufzeigen dieser Widersprüche lässt sich „The Seas Between Us“ dramaturgisch viel Zeit, was der Arbeit guttut. Gerade der kulturübergreifende Ansatz macht das Menschliche in der Frage nach individueller Zugehörigkeit sichtbar. Die voneinander abgegrenzten Kontinente, mit den Meeren zwischen uns, die hier gemeint sind, sind in keiner Landkarte eingezeichnet.

 

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