Von Corina Hofner
Ja, Künstliche Intelligenz kann bei der Erstellung von Kunstwerken helfen. Es gibt bereits viele Beispiele von KI-generierter Kunst, wie zum Beispiel Malerei, Musik und Literatur. In der Tat haben einige Künstler begonnen, KI in ihre kreative Praxis zu integrieren, um neue Formen und Techniken zu erforschen.
In Bezug auf Tanz und Choreografie gibt es bereits Projekte, die KI einbeziehen, wie zum Beispiel „MIRA 11_shift“. Durch die Verwendung von Bewegungsdaten und Algorithmen können Künstlerinnen und Künstler die Grenzen dessen, was sie allein erreichen können, erweitern. Die KI kann Bewegungsvorschläge und Inspirationen liefern, die dann von den Tänzerinnen und Tänzern in ihre eigene Bewegungssprache integriert werden können.
Es ist wichtig zu beachten, dass KI nicht als Ersatz für menschliche Kreativität oder Entscheidungsfindung gedacht ist. Vielmehr kann sie als Werkzeug und Ressource verwendet werden, um neue Ideen und Perspektiven zu generieren und die künstlerische Praxis zu erweitern.
So die Reaktion von ChatGPT auf den Teaser-Text der Tanzperformance „MIRA 11_shift“, die am 05. Mai ihre Premiere im Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr feierte. Ähnlich wie der Chatbot mir beim Texteinstieg half, wurden auch die Anfänge der MIRA-Produktion von einer Künstlichen Intelligenz begleitet. Die Choreografin Julia Riera, die Professor*innen für Datenanalyse Dr. Anika Gross und Dr. Alexander Carôt und der Masterstudent Tim Schrader fütterten ihre für und mit MIRA entwickelte App aber nicht mit Buchstaben, sondern mit Videos: Auf dem etwa 30-stündigen „Speiseplan“ standen neben MIRA-Choreografien auch angeleitete Bewegungsimprovisationen. Heraus kamen Vorschläge für neue Bewegungssequenzen, die mit tänzerischen Überlegungen, Sounds von Tim Roller und der Frage danach, was Bewegung menschlich mache, verfeinert wurden.
Für mich steht am Ende des Abends fest, dass das Gesicht eine zentrale Rolle dabei spielt, ob etwas als menschlich wahrgenommen wird. Denn in den ersten 45 Minuten der Performance sind die sechs Tänzer*innen, im wahrsten Sinne des Wortes, gesichtslos: Mal lehnen sie ihre Köpfe so weit in den Nacken, dass ihre Gesichter nur von der Decke zu erkennen wären, verstecken sich dann wieder hinter verkreuzten Armen oder wenden ihren Blick nach hinten oder unten, und bleiben uns als Publikum damit unzugänglich. Weiß-bronze glitzernde, an MacBook-Oberflächen oder Chipkarten erinnernde Kostüme verschleiern die individuellen Merkmale der Tänzer*innen, verschlucken jeden Versuch der Identifikation – ein Fuß sieht aus wie der andere.
Als schließlich ein einziges Gesicht aus der Masse auftaucht, wächst es förmlich aus ihr heraus: Glitzernde Beine und schimmernde Rücken verschmelzen zum kollektiven Körper, der das Gesicht gleich auf fünf verschränkten Armpaaren und Rücken trägt. Wie, um auf die fortschreitende „Vermenschlichung“ von Technologien zu verweisen, wird auch der Performance im Laufe des Abends eine immer größer werdende Menschlichkeit eingehaucht: Die Bewegungen werden organischer, individueller, selbstbestimmter – und schließlich bekommen wir sogar alle Gesichter zu sehen.
Doch so faszinierend die other-than-human Bewegungen der Tänzer*innen sind, hinter all der symbolhaften Ästhetik scheint irgendetwas verloren zu gehen. Ein Zuschauer sagt mir im Anschluss, er habe „menschliche Gefühle“ vermisst – was uns zurück zur ursprünglichen Fragestellung führt: Was macht Bewegungen menschlich? Werden Bewegungen nur dann als menschlich wahrgenommen, wenn sie Gefühle transportieren – ganz unabhängig davon, ob diese inszeniert sind oder nicht? Vielleicht liegt darin auch die Bedeutung des Gesichts, an dem sich kleinste Gefühlsregungen zeigen können, als Indiz für Menschlichkeit.
Letztlich sind es gerade die unscheinbaren, nicht inszenierten Momente, die mir im Gedächtnis bleiben und zum Nachdenken anregen: Etwa, wenn die Bühnenbeleuchtung anfängt zu surren, als wolle sie daran erinnern, dass auch ihre Technik einst als bahnbrechend und innovativ gefeiert wurde. Oder wenn zwischen den mechanischen Bewegungen das Atemgeräusch der tanzenden Körper auftaucht und mir plötzlich ins Bewusstsein ruft, welche menschliche, körperliche Leistung hinter jeder einzelnen Bewegung steckt.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Zentrum für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit Tanzwissenschaft-Studierenden und dem Festival tanz nrw. Mit dem gemeinsamen Projekt möchten die Institutionen – zumindest temporär – eine Lücke schließen in der überregionalen Kulturberichterstattung über die freie Tanzszene in NRW.
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