„Sisterhood“ von Julie Rasmussen

Schwestern, Fußball und Blumen

„Sisterhood“ – als Bündnis, das vier Tänzer*innen singend, spielend und in stampfenden Rhythmen heraufbeschwören

Ein Stück für junges Publikum, choreografiert von Julie Rasmussen und uraufgeführt auf Aaben Dans, Roskilde (DK).

Dänemark, 10/02/2023

Von Pauline Michel

 

Eine weiße ovale Fläche streckt sich über den Boden und eine Bühnenseite hinauf - wie eine fließende Uhr Dalis nur ohne Zahlen, aber mit einem schwarzen Loch, hinter dem eine Nebelmaschine zu erkennen ist, die später ab und zu kleine Nebelausstöße von sich geben wird. Es dauert einen Augenblick und Thjerza Balaj, eine der vier Perfomer*innen von „Sisterhood“, tritt dahinter hervor und geht langsam an das andere Ende des weißen Ovals, wo sie – über einem Mikrofon am Boden kniend – zu pfeifen beginnt.

Das Pfeifen kehrt aus den Lautsprechern wieder. Es wird zu einem sanften, fast versteckten Zusammenrufen, welchem die drei anderen Tänzer*innen des Stückes, Katrien van der Velden, Nanna Stigsdatter Mathiasen und Ella Östlund auf die Bühne folgen und miteinstimmen. Sie alle tragen weiße Fußballoutfits, statt eines Trikots aber nur riesige Stoffblumen auf ihren Oberkörpern. Auf den ersten Blick erinnern sie an Meerestiere und dann, beim genauen Hinschauen, mutet die rosafarbene Tulpenform doch einer Vulva an. Schnell wird das gemeinsame Pfeifen lauter und zu einem stampfenden Rhythmus. Damit spielen sie, indem sie sich in verschiebenden Raumkonstellationen anordnen und die Taktfolgen immer komplexer werden lassen – bis sie in einer Linie dem Publikum nah gegenüberstehen und die Zuschauer*innen auffordernd ansehen.

Das Spiel mit Rhythmus, Stimme und Klängen kommt während des 50-minütigen Stückes immer wieder zurück – als gemeinsames Summen, ein Trommeln auf den Körpern der anderen, oder La-la-la-Variationen, die Katrien van der Velden gemeinsam mit dem Publikum zu singen beginnt. Auch Fußballassoziationen tauchen an mehreren Stellen auf: etwa ein dramatisches Zu-Boden-sinken nach einem Fehlschuss oder Tor, ein an der vorderen Bühnenkante entstehende Fankurve, die in Zeitlupe und Stille zwischen jubelndem Grölen, Begeisterung und verständnisloser Enttäuschung wechselt. Dazwischen zeigen die vier Performer*innen, wie sie miteinander spielen, raufen, füreinander da sind, oder in einem Moment doch alleine, und wie sie dann wieder miteinander kuscheln. Ganz eng liegen sie in einem Moment aufeinander. Sie halten aneinander fest, und versuchen gleichzeitig, jede für sich, eine gemütliche Position zu finden, um ihren Kopf ablegen zu können.

Unterlegt wird die Choreografie stellenweise mit leisem Vogelgezwitscher aus den Lautsprechern. So entstehen beim Zuschauen schnell Bilder von Blumenwiesen unter blauem Himmel und vor allem eine Sehnsucht nach Vertrautheit und bedingungslosem Für-einander-da-Sein der besten Freund*innenschaften. Denn die vier Performer*innen schaffen es, eindrücklich, stark, und zugleich offen und ungemein nahbar auf der Bühne zu stehen.

Was in „Sisterhood“ verborgen bleibt, ist das politische und widerständige Potential des Begriffes – Sisterhood als Motto feministischer Kämpfe, mit der Idee, trotz unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen von Frauen*, beziehungsweise gerade in Anbetracht eben dieser Unterschiede, Frauen* im Widerstand gegen das Patriarchat zu einen. Es ist vielmehr ein Bild von Verbundenheit und Nähe und rhythmisch aufstampfendem Teamgeist, welches das Stück als Sisterhood zeigt, und damit nicht bloß innerfamiliäre Geschwisterbünde meint – sondern gerade die Suche nach Vertrautheit und Gemeinschaft außerhalb von Familienbeziehungen. Ungesehen bleibt dabei allerdings auch ein Kuss, beziehungsweise ein Augenblick, der darauf hindeutet, dass nicht nur Verwandtschaftsgefühle oder Freund*innenschaften entstehen können.

Zum Schluss, abermals zusammengerufen durch ein Pfeifen, reihen die vier Performer*innen sich umarmend aneinander. Als achtbeiniger Tausendfüßler gehen sie einen letzten Kreis auf der Bühne, bis sie hinter dem weißen, nach oben ragenden Oval verschwinden und die Nebelmaschine, wie ein Auspuff, einen allerletzten Nebelfaden ausspuckt, der für einen Augenblick noch bei dem, mit einem warmen Gefühl von Verbundenheit erfüllten Publikum bleibt.

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