Krieg im Probenraum

Dokumentarfilm „Fragments of Resilience“ von Anna Semenova

Zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine hat die Journalistin einen Film veröffentlicht, der die polnische Produktion „Every Minute Motherland“ mit ukrainischen Tänzer*innen begleitet.

Leiptzig, 25/02/2023

„My Körper möchte nicht tanzen“, das ist der erste Satz im Dokumentarfilm „Fragments of Resilience“, gesprochen von der ukrainischen Tänzerin Daria Koval. Und natürlich tanzt sie danach. Sie tanzt zusammen mit Anna Myloslavska, Vitaliia Vaskiv, Anastasia Ivanova, Monika Witkowska, Szymon Tur, Judyta Pakulska und Omar Karabulut in dem Stück „Every Minute Motherland“ des polnischen Choreografen Maciej Kuźmiński. Die Ukrainerin  Anna Semenova (Regie/Kamera) und Polina Bulat (Drehbuch/Produzentin) haben den Prozess bis zur Premiere in Danzig begleitet. Entstanden ist dabei weniger ein Tagebuch der Proben in Łodz und Dabrova ab Juli 2022, sondern vielmehr eine mentale Bestandsaufnahme des Lebens als Tänzer*in im Exil.

„Für mich fühlt es sich immer noch an wie der 24. Februar und es hört nie auf“, heißt es etwa. Der Film gibt vor allem intimen Einblick in die Gedanken und Ängste der ukrainischen Geflüchteten, allesamt mit professioneller Tanzausbildung. Es geht um das Zerissensein, wenn man geht und weiß, es gibt die, die bleiben. Einige berichten von den Tanzklassen mit Kindern, die sie versucht haben über Zoom aufrecht zu erhalten. Die Bilder zeigen, die hohe Verletzlichkeit dieser geflüchteten Körper und Seelen. „Auch wenn ich physisch in Polen bin, so bin ich doch mit meinen Gedanken immer in der Ukraine.“ Doch neben der Trauer, Anfällen von Hilflosigkeit und manchmal auch der Wut gibt es vor allem diesen Moment des Sich-Nicht-Unterkriegen-Lassens. Dieses Weiter-Machen und des Schaffens. Kuźmiński und seine Tänzer*innen wollen etwas dagegensetzen - gegen diesen russischen Angriff auf die Ukraine und seine Kultur. Mit künstlerischen Mitteln, diese Kultur nicht nur bewahren, sondern sie fortschreiben mit den einzigen Mitteln, die ihnen zu Verfügung stehen. „Der Krieg ist in diesem Probenraum“, so Kuźmiński, und Tanzen zu einem Akt des Widerstandes, aber eben nicht nur.

„Every Minute Motherland“ wird in diesem Jahr auf einigen Festivals auch in Deutschland zu sehen sein. Die ruhige und einfühlsame Kamera nimmt sich zurück, verzichtet auf allzu künstlerische Ambitionen und betont die Leere und Kargheit, in denen die künstlerischen Prozesse stattfinden, aber auch die Nähe und Natürlichkeit, die die Protagonist*innen ihr entgegen bringen. So sind diese 25 Minuten ein sehr persönlich wirkendes Dokument und lediglich der Dramaturg Paul Bargetto bricht auch diesem Schema aus und versucht eine Übersetzungsarbeit, in dem er die Arbeit der Gruppe, in die sie umgebenden Prozesse einordnet.

Am Ende, am Lagerfeuer steht ein klarer Auftrag, den Choreograf Kuźmiński formuliert: „Egal was passiert, egal wie fucked up diese Welt ist, wie werden dies immer noch tun. Wir bleiben Tänzer, wir kreieren ein Tanzstück, das uns helfen kann mit diesen Dingen, die gerade passieren, umzugehen.“ In diesem Moment lebt sie, die Utopie, dass es doch das richtige Leben im Falschen geben kann. Wenigstens in der Kunst.

Der Film ist noch bis zum 25.2.2023 auf YouTube zu sehen, ebenso eine Aufnahme von „Every Minute Motherland“. Die Company unterstützt zudem die Charitable Foundation Concord 3000 zur Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge. Spenden sind über möglich unter: https://concord3000.com.ua/en#donation

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