„The Fairy Queen“ von Ricardo Fernando

Barocker Zauber einmal anders

Henry Purcells Ballettoper „The Fairy Queen“ in Augsburg

Welch schöne Koinzidenz! Eben stand John Neumeiers wunderbarer Zweiakter „Ein Sommernachtstraum“ im Rahmen der Ballettfestwoche 2023 im Münchner Nationaltheater auf dem Spielplan, und im Augsburger Martini-Park beackerte Ballettdirektor Ricardo Fernando dasselbe Shakespeare-Sujet in Gestalt von Purcells fabelhafter „Masque“ aus dem Jahr 1692.

Augsburg, 13/04/2023

Das Neumeier-Ballett stellt wohl die prominenteste und sicherlich eine der dramaturgisch-zeitlos gelungensten Bühnenadaptionen von Shakespeares gleichnamiger Komödie dar. Es ist ein Werk, an dem keiner vorbeikommt, der sich mit dem Stoff „A Midsommer night‘s dream“ choreografisch auseinandersetzen will. Vermutlich ging es auch Ricardo Fernando so.

Nun feierte in Augsburg seine herrlich eigenwillige Interpretation von Henry Purcells „The Fairy Queen“ Premiere – mit fein in den Plot aus Chorgesängen und Arien (auf Englisch) sowie kurzen, auf Deutsch gesprochenen Dialogen eingebetteten Tanzszenen.

Darunter sind sehr hübsche, intime Pas de deux und Trios, die in ihrer athletischen Eleganz den singenden, barock raumgreifend-opulent gekleideten Darsteller*innen der Hauptfiguren niemals die Show stehlen – und das, obwohl die Tänzerinnen und Tänzer deren innere Bewegt- oder Verschrobenheit mal mehr, mal weniger zeitgleich, dafür aber stets sinnlich ergänzen. Mit ihrer rein körperlichen Ausdrucksweise gelingt es ihnen, das Publikum subtil zu berühren, während Jihyun Cecilia Lee (Sommer/Hermia), Ekaterina Aleksandrova (Frühling/Helena), Claudio Zazzaro (Herbst/Demetrius für den erkrankten Roman Poboinyi) und Wiard Witholt (Winter/Lysander) ihre Gesangsrollen bloß gelegentlich gestisch stärker untermalen oder dort – wo es die (Party-)Stimmung diktiert – hüftselig-beschwingt herumtänzeln.

Nicht vorenthalten wollte Fernando den Tänzer*innen seiner Kompanie zudem die Handwerker-Szene als hitverdächtige Nummer mit viel Potenzial zum Lachen. Für deren Proben im Wald und kompakt-ambitionierte Aufführung hat John Neumeier die Latte in den 1970er Jahren schon überaus hoch angesetzt. Augsburgs Ballettchef Fernando hat sich das Anzitieren getraut (unverkennbar beim Kostüm für die Mauer) – und dabei durchaus geschickt eigene Akzente gesetzt.

Seine Fünfergruppe aus Zettel (Afonso Pereira), Schnauz (Conçalo Martins da Silva), Squenz (David Nigro), Schnock (Brandi Baker) und Flaut (Terra Kell) tritt – ziemlich von Anfang an – furios wie Hip-Hopper in Latzhosenjeans auf. Das schlägt ein und wirkt echt cool – insbesondere nach einem vorangegangenen Besuch in der neuen, überaus sehenswerten Ausstellung „Coolness. Inszenierung von Mode im 20. Jahrhundert“ im nahe gelegenen Textilmuseum – jedoch auch, weil der Anführer der umtriebigen Clique von einer Frau verkörpert wird. Diese spricht sich selbst die bescheidene Rolle des Monds zu und Schnauz, der gern androgyn in klassischen Posen brilliert, freut sich als Darsteller der Thisbe auf die tragische, extravagante Frauenpartie.

Aus dem tragbaren Ghettoblaster der kleinen Truppe dröhnt Musik von Purcell. In Fernandos Elfenensemble (Tänzer und Chor) löst diese wiederholt veritables Discofieber aus. Die Handwerker werden dadurch – zum Vergnügen des Publikums – zu virtuosen Hinguckern motiviert, wie man sie vom Break- und Streetdance kennt. Kurz nach der reinen Ballettdoppelpremiere „Dimensions of Dance. Part 4“ mit der Uraufführung „A Fresh Start“ des Choreografenduos Iratxe Ansa & Igor Bacovich und Fernandos Piazzolla-Hommage „Tangata“ stellt Augsburgs Tanzsparte einmal mehr ihre Bandbreite und Lust am Switchen zwischen den Stilen unter Beweis. Und das bestens.

In „The Fairy Queen“ werkeln die fünf Handwerker-Protagonisten länger still mit Pinsel, Zollstock und Notizbrett im Hintergrund eines poppig bunten, überall abgerundeten und partiell mobilen Dekors voller Hügel und Ausbuchtungen herum. Doch es gibt in diesem Stück keinen alternativen Ort zu diesem anfangs irritierend platzfressenden und wenig Weite zulassenden psychedelischen Rundformen-Wald im Stil der Siebziger. Gefasst von einem breiten, ovalen, blauen Portalrahmen, in dem der Vorhang hängt, entwickelt das vermeintliche Einheitsbühnenbild rasch assoziationstaugliche, visuelle Sogkraft. Zum Schluss wirkt es fast so, als blicke man lediglich durch ein Schlüsselloch auf eine zauberhafte, von Feen belebte Welt. Die Frage nach Realität bzw. fassbarer Wirklichkeit scheint wie ausgeklammert.

Alle Handlungselemente spielen sich auf engstem Raum und in die Tiefe gestaffelt ab. Vorne findet Oberon (Avtandil Kaspeli – kostümiert wie ein behäbiger Boris Godunow), der sich bei seinem im ersten Akt von Titania ausgerichteten Geburtstagsfest mit Auftritten der vier Jahreszeiten einfach bloß schnöde betrinkt, sein Ruhelager. Puck – als hier einzig mit einem Countertenor (Constantin Zimmermann) und einem quirligen Tänzer (Cosmo Sancilio) doppelt besetzter Charakter – kann unterwartet auf- und abtauchen. Das Viergespann junger Liebender verläuft und jagt sich auf verschlungen Pfaden um die amorphen Raumteiler. Für die abschließende Handwerker-Aufführung des Mini-Dramas „Pyramus und Thisbe“ vor Oberon und Titania (Olena Sloia: leider vor der Pause stimmlich etwas zu zurückhaltend, im Hebefiguren-Tanzduett mit Pereira als Zettel/Esel aber ohne Double wagemutig-bestechend) anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten der beiden Paare Helena/Demetrius und Hermia/Lysander, die letztlich doch zueinander finden, ist auf einmal ausreichend Platz für fetzigen Tanz.

Wie bereits 2020 sehr erfolgreich bei der spartenübergreifenden Augsburger Produktion „Winterreise“ zeichnet Fernando aufs Neue für die gesamte Inszenierung verantwortlich. Nachdem die „Winterreise“-Uraufführung damals aufgrund pandemiebedingter Theaterschließung nur rein digital übertragen werden konnte, beklatschte das Publikum jetzt alle Mitwirkenden am Ende voller Begeisterung live. Obwohl der Martini-Park – als Ausweichspielstätte des Staatstheaters Augsburg – für Stücke mit viel Kulissenverwandlungen eigentlich ungeeignet ist, erwies sich diese Herausforderung aufgrund der tollen alternativen Ideen der Ausstatter (Bühne: Pascal Seibicke, Kostüme: Helena de Medeiros) als gar kein Problem.

Die am 2. April 2023 erstmals präsentierte und auf kurzweilige zwei Stunden Spieldauer inklusive einer Pause komprimierte Version der Ballettoper „The Fairy Queen“ vermag gerade da zu punkten, wo sie sich von rundum aufwendigeren, fünf Akte langen Großinszenierungen absetzt. Einziger Nachteil bleibt hier, dass das Publikum kaum in die Lage versetzt wird, das Zerwürfnis zwischen Titania und Oberon nachzuvollziehen, geschweige denn verstehen dürfte, wieso Puck den Krach erotisch-drastisch im Liebesakt von Titania mit dem zum Esel verzauberten Zettel gipfeln lassen soll.

Im Gegensatz zu der in dieser Fassung eingedampften Handlung kommt der Tanz, dem Purcell in seiner Semi-Opera mit Menuett, Gavotte, Bourrée, Gigue, Sarabande, Courante und Chaconne – also den zu seiner Zeit angesagten Gesellschaftstänzen – instrumental viel Bedeutung eingeräumt hat, durchaus zu seinem Recht. Immer wieder wird die Bühne von choreografierten Auftritten des gesamten Opernchors vereinnahmt. Letzterer kann aber auch den eindrücklichsten ästhetischen Ausreißer des Abends für sich verbuchen – mit einer Szene, in der die Choristen von hinten über die Gänge an den Zuschauerreihen entlang herunter- und dem Publikum durch kleine Interaktionen ganz nahe kommen. Singstimmen so unmittelbar-direkt zu erleben ist ungewöhnlich und lautstärkemäßig fast unheimlich.

Es handelt sich um die Szene, in der Puck für Oberon die Zauberblume sucht, deren Säfte bzw. Pollen jeden liebestoll machen. Die Bühne hinter dem Orchestergraben hat in diesem Moment, den man gesäumt vom barocken Sound erlebt, auch der leichtfüßige, super gewandte, tänzerisch für Wirbel sorgende Tänzer-Puck-Interpret Cosmo Sancilio verlassen. Dass er beim Dirigenten des Abends, dem souveränen GMD Domonkos Héja, fündig wird, ist ebenso wenig neu, wie die von Fernando dicht sowie in Gesang und Tanz raffiniert verzahnt erzählte Geschichte. Viel Witz und unterhaltsamen Drive hat die von den Augsburger Philharmonikern Eins A begleitete Produktion dennoch zu bieten.

 

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