„n a h e z u n a h“ von und mit Michael Gross und Kamil Mrozowski 

Von Verlustängsten und Naheverhältnissen

Werkschau „ARTIST AT RESORT | TERM 21“ im Tanz*Hotel Wien

Drei sehr unterschiedliche Stücke sind beim aktuellen Tanz*Hotel Residenz-/Coaching-/Mentoringprojekt entstanden: Viviane Tanzmeister beschäftigte sich mit dem Loslassen, Verena Frauenlob gestaltete eine partizipative Performance und Michael Gross will mit Kamil Mrozowski verschmelzen.

Wien, 26/03/2023

Ein Tisch, zwei Stühle, an der Seite ein Garderobenständer. Im Raum verteilt Geschirr, Besteck, eine Vase, ein Teppich und noch manch andere Gegenstände, teilweise versteckt. Als das Publikum das kleine Studio betritt, sitzt die Tänzerin und Choreografin Viviane Tanzmeister mit dem Rücken zum Publikum. Langsam beginnt sie sich zu bewegen, nimmt den Raum in Besitz, arbeitet mit den unterschiedlichen Requisiten. Es sind kurze Bilder, die entstehen: der Tisch wird gedeckt, die Katze gefüttert, auf einer Minigitarre gespielt. Es scheint, dass sie sich nie auf eine Sache konzentrieren kann. Langsam wird klar, dass in der Uraufführung von „Still Talking To You“ niemand zum Abendessen kommen wird. Auch die Katze wird ihr Futter nicht mehr fressen. Denn es sind Erinnerungen an Vergangenes. Eine ältere Frau (Margit Tanzmeister) tritt auf, sorgt für Ordnung, versucht Viviane zu beruhigen und zu beschützen. Doch auch sie wird Viviane wieder verlassen. Die etwas depressive Grundstimmung die hier anklingt, wird immer wieder durch kurze komische Momente gebrochen. Ihre Bewegungssprache ist eine Mischung aus Breaking und Contemporary. Im anschließenden kurzen Publikumsgespräch erzählt Tanzmeister, wie es war, mit ihrer Mutter zu arbeiten und dass sie persönliche Erlebnisse der letzten Zeit verarbeitet hat. Sie führte aber auch mit vielen Leuten Gespräche zum Thema Verlust– Ausschnitte davon sind in einer Toncollage zu hören. Mit vielen Emotionen, negativen aber auch positiven, hat sie ein Stück kreiert, das durchaus Potenzial für einen Abendfüller hat.

Im Kontrast dazu steht das letzte Stück des dreiteiligen Abends. In „n a h e z u n a h“ stoßen die Tänzer Michael Gross und Kamil Mrozowski aufeinander. Anfangs räumlich getrennt, jeder bewegt sich auf einem sehr eingeschränkten Raum, der durch ein Stück silbern glänzenden Tanzboden vorgegeben ist, finden sie langsam zueinander. Als endlich eine körperliche Berührung möglich ist, scheint eine innere Ruhe in beide einzukehren. Ihre Versuche miteinander zu verschmelzen lassen eine große Intimität zwischen den beiden erkennen und werden zwischendurch ziemlich akrobatisch. Die Musik dazu liefert Lissie Rettenwander in einer Liveperformance. Sie verwendet unter anderem Wasser, Zucker, Papier und Eier für die Erzeugung von Klangwelten. Das, was die Tänzer aus anatomischen Gründen nicht schaffen, gelingt Rettenwander: die Verschmelzung des Klanges mit dem Raum und der Performance. Auch hier möchte man gerne mehr sehen.

Zwischen den beiden sehr berührenden Stücken gestaltet Verena Frauenlob eine partizipative Performance. In „KOERPERWERK (1. Version in Progress)“ gibt sie dem Publikum verbal Bewegungsanweisungen. Die Ausführung derselben gestalten die Zuschauer*innen sehr unterschiedlich. Man merkt, dass Anweisungen sehr genau sein müssen, um eine einheitliche Bewegung zu schaffen. Inspiration zu den Anweisungen waren Bewegungen aus dem Arbeitsalltag. Ob diese prinzipiell spannende Grundidee wirklich zu einer Performance führen kann, erscheint zum aktuellen Zeitpunkt sehr fraglich.

Seit 2008 vergibt der Wiener Choreograf Bert Gstettner Residenzen in seinen Tanz*Hotel Studios, die professionell mit Bühnenbeleuchtung und Tonanlage ausgestattet sind. Impuls dafür war die persönliche Erfahrung, dass es gerade für die junge Choreograf*innen-Generation zu wenige leistbare Probenräume gibt. Unterstützt von Mentor*innen – in der aktuellen 21. Ausgabe von „ARTIST AT RESORT” waren dies Imani Rameses und Jasmin Schaitl – coacht Gstettner auch die jeweiligen Projekte. Aktuell kann man sich für die 22. Ausgabe bewerben.

 

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