"Organismo" von MARAÑA.

Wollige Symbiose

„Organismo“ von MARAÑA feiert in Berlin Premiere

Ein Appell an die Verbundenheit und die Kraft von Kollektiven, geschaffen durch Tanz, Akrobatik, Installation - und Wolle.

Berlin, 29/05/2022

"Organismo" von MARAÑA.

Da kommt ein Fuß zu Vorschein, es folgt ein Bein, dann ein weiteres. Sie bewegen, strecken, räkeln sich vorsichtig zu unterwasserweltlichen Klängen. Gehören sie zusammen? Irgendwo erscheinen Hände, die tasten und die Finger spreizen. Es werden immer mehr und auch hier kann man sich wundern, zu wem oder was sie gehören. Diese Extremitäten sind beinahe nicht mehr menschlich, sondern gehören zu einem verwobenen, riesigen Wesen, das keinen Anfang und kein Ende hat, das atmet und lebt und tanzt – und aus Wolle besteht.

Dieses Wesen ist „Organismo“, welch passender Name für die Performance von MARAÑA (Regie Paula Riquelme Orbenes) am Freitag im Monopol in Berlin. Dieser Organismus nimmt einen ganzen Raum ein, das Publikum wird mit seinem Betreten Teil davon. Bereits ein kunterbunter Faden leitet die Ankommenden über das Gelände des Monopols. Dieser Faden verflicht dann die Zuschauer*innen mit dem Raum, den Raum mit dem Bühnenbild und das Bühnenbild mit den Performerinnen und Musiker*innen. Tanz, Wolle und Musik wird so über das Publikum gespannt, es wird darin einverleibt. Die knallbunte Wolle erstreckt sich in verschiedensten Häkelvariationen über Wände, Decke, Boden und Künstler*innen. Sogar die Stühle tragen Wollpullis.

Dieser Wollorganismus erwacht dann zum Leben. Erst ganz klein und bescheiden, fast unbemerkt passieren kleine Bewegungen. Man muss ganz genau hinsehen. Langsam werden einige Kordeln in eine Öffnung (oder ein Maul?) eingesogen, aus einem anderen Teil kullern Wollknäuel heraus – oder werden sie gespuckt? Nichts scheint hier passiv zu sein. Es folgen menschliche Beine und Arme, die aber weder menschlich noch wie Arme und Beine scheinen. Viel eher sind es Fühler oder Tentakel. Erst als dann ein Körper erscheint, wird klar, dass hier noch andere Wesen im Spiel sind.

Insgesamt sind es fünf Körper, fünf Performerinnen, die eine Symbiose mit dem Geschöpf aus Wolle eingegangen sind. Sie scheinen in ihm und mit ihm zu leben, aber haben gleichzeitig ihre eigene Existenz. Nacheinander kriechen und klettern sie aus Öffnungen hervor. Ihre Köpfe, oder viel eher da, wo ein Kopf sein sollte, sind riesige Wollmähnen. Sie klettern und springen an der Wand herum, schwingen sich von einer Ecke in die nächste, scheinen der Schwerkraft zu trotzen und verlieren aber zu keinem Zeitpunkt die Verbindung zu ihrem wolligen zu Hause. Schon allein der akrobatische Aspekt ist hier beeindruckend. Nie fällt eine, immer findet sie für das Publikum unsichtbare Nischen und Griffe, und die anderen Arme und Hände halten und stützen sie. Auch hier wird die Verbindung zwischen Performerinnen und Bühnenbild deutlich – ohne einander geht es nicht. Das ist Kollektiv und gemeinsame Existenz.

Neben dieser Botschaft, macht „Organismo“ aber auch ästhetisch und akustisch ganz viel Spaß. Wann hat man schon einen tanzenden und singenden Teppich gesehen? Es könnte schnell ins Alberne abrutschen, tut es aber nicht. Auch nicht, als die einzelnen Öffnungen bildlich zu Mündern werden und eine A-Cappella-Gesangseinlage angestimmt wird. Den akustischen Teil des Abends liefern zwei Live-Musiker*innen (Kotoe Karasawa und Andres Aravena) und schaffen es, mit dem Organismus auch ein kleines Universum zu kreieren. Immer neue Assoziationen werden durch ihre Klänge, mal elektronisch, mal perkussiv, hervorgerufen. So fühlt sich das Publikum mal im Dschungel, mal in einer Unterwasserwelt – oder auch in der Disco.

MARAÑA schafft eine gelungene Metapher. Nicht nur durch die wärmende Wolle zeigen sie, dass wir alle miteinander verbunden sind. Und nicht nur wir Menschen miteinander, sondern alle Lebensformen und Organismen. Ohne einander können wir nicht existieren. Das Ich alleine funktioniert nicht. Die Welt braucht Symbiosen, sie braucht Kollektive und Zusammenhalt.

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