Wo Sprachen trennen, verbindet Tanz

Marguerite Donlons neuer Tanzabend „EastWest“ im Theater am Domhof

Viel berührende Atmosphäre, viel unmittelbar einleuchtender Tanz bei so viel Fremdem ist das bewundernswerte Ergebnis einer aktuellen und engagierten künstlerischen Integrationsleistung der neuen Tanzchefin und des Ensembles.

Osnabrück, 05/04/2022

von Hans Butterhof

Viel berührende Atmosphäre, viel unmittelbar einleuchtender Tanz bei so viel Fremdem ist das bewundernswerte Ergebnis einer aktuellen und engagierten künstlerischen Integrationsleistung der neuen Tanzchefin und des Ensembles.

Marguerite Donlon, die zu Beginn der Spielzeit 2021/22 vom Theater Hagen als Ballettchefin nach Osnabrück wechselte und mit dem Tanzabend „Zeit“ einen bejubelten Einstand feiern konnte, stellt in „EastWest“ die hochaktuelle Frage nach der gegenseitigen Fremdheit und den Grenzen von Ost und West. Daran arbeitet die irische Choreografin Marguerite Donlon mit zwölf Tänzer*innen aus zehn Nationen, einer Sängerin sowie zwei Musikern aus Syrien, einem russischen Pianisten und einem deutschen Schauspieler. Schon dass in dieser Konstellation ein solcher Tanzabend gelingt, spricht für die These des Stückes, dass es diesen Gegensatz nur als Ideologie, erstarrte Perspektive gibt; für die Menschen in ihrer Begegnung gilt er nicht.

Es sind die Sprachen, die Menschen trennen. Das zeigt zu Beginn eine reißerisch angesagte Talk-Runde von Tänzer*innen als Expert*innen ihrer Heimatländer. Sie geben in ihren jeweiligen Landessprachen, von Hebräisch bis hin zu Chinesisch, ihre Statements zur Lage ab. Das mündet in eine handfeste Prügelei, da keiner die*den anderen versteht. Dem stellt Donlon in der nächsten Szene zwei Sufi-Tänzerinnen gegenüber, die sich auf schwarzer Bühne in ihren strahlend roten Röcken zentrierend um sich selbst drehen und ohne Worte die Herzen des Publikums öffnen.

„EastWest“ erzählt authentische Geschichten wie die von Jan Hanna und seiner Flucht aus Syrien, bei der er auf Helfer angewiesen und Räubern ausgeliefert war. Vor der Kulisse eines mehrstöckigen Hauses, aus dessen Fenstern Flammen schlagen (Video: Philipp Contag-Lada), wird er über einen unsicheren Weg aus Stühlen zu einem schmalen Tisch geleitet, auf dem er eine kurze Ruhe findet. Dann beginnt er seine Darbukka- Trommel zu schlagen, deren Rhythmus von Tänzer*innen aufgenommen und vom Ensemble in eine wie leitmotivisch eingesetzte Bewegung überführt wird. Mit den weit ausholenden Armbewegungen von Eisschnellläufer*innen gleiten sie über die Bühne.

Weiter folgen Reihenbildungen mit Hebungen einzelner Tänzer*innen, bergende Haltungen wie bei Kindern, die auf den Arm genommen werden. Oder vor grau angeleuchteter Hauswand und kalter elektronischer Musik bewegt eine Tänzerin isoliert nur ihren Kopf, ein Tänzer nur seinen Oberkörper. Mechanisch kraftvoll quert dazu das vorwärts oder rückwärts ausschreitende Ensemble die Bühne.

Doch bestimmend sind vor der Kulisse, die nun ein arabisches Haus mit sich neu regendem Leben zeigt, die aus verschiedenen Volkstänzen entliehenen Elemente wie durchgebogene Finger aus dem fernöstlichen oder auf dem Rücken gehaltener Hand aus dem irischen Tanz zu arabischer Musik (Komposition und Arrangements: Wladimir Krasmann, Ali Alyousef). Das Anrührende des Geschehens wird vertieft durch darin eingebettete kurze Szenen von Gewalt; hier wird einer niedergeschlagen, dort durch einen Schuss getötet.

Herzzerreißend singt dazu die aus Damaskus stammende Jouana Dahdouh, begleitet von Wladimir Krasmann am Klavier, der mit Ali Alyousef an der Oud-Laute und Jan Hanna im Parterre des Kulissenhauses Platz gefunden hat. Für ihren arabischen Gesang, ergreifend mit nach Bach klingendem Choral kombiniert, erhält sie spontan Szenebeifall.

Der Tanzabend endet damit, dass im Hintergrund der Bühne ein Mann im Fenster des ersten Stocks vergeblich versucht, eine Frau zu sich hinaufzuziehen. Vom entsetzten Ensemble beobachtet, stürzt sie immer wieder ab, bis sich der Eiserne Vorhang senkt. Da versammelt sich das Ensemble unter ihm und schiebt ihn gemeinsam nach oben zurück, als dürfte das Stück, das die Welt von West bis Ost bedeutet, so nicht enden. Sie helfen der Frau nicht hinauf zu dem Mann, sondern ihm herunter zu ihr.

Die ohne Unterbrechung intensiv getanzten siebzig Minuten vergehen wie im Flug. Das gerade in seiner bruchlos lebendigen Integration von Tanz, Gesang und Sprache reine Tanztheater berührt durch seine undogmatische Authentizität, die alle west-östlichen Unterschiede im Gefühl gemeinsamer Menschlichkeit aufhebt. Dem beeindruckenden Ensemble und seiner Chefin Marguerite Donlon sowie dem gesamten Regieteam dankte das begeisterte Premierenpublikum mit Jubel und langanhaltenden Ovationen.

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