"Duets" von Merce Cunningham, Tanz: Helen Clare Kinney, François-Eloi Lavignac

Alte Meister*innen

Das Wiener Staatsballett mit "Kontrapunkte"

Das Wiener Staatsballett tanzt in der Volksoper erstmals Werke von Keersmaeker und Cunningham und huldigt dem Doyen Hans van Manen.

Wien, 05/06/2022

Es sind meist ungewohnte Kleider, in die Tänzer*innen schlüpfen, die internationales Repertoire für die große Bühne einstudiert bekommen. Die meist wenig Gelegenheit haben den oder die Erstträger*in zu fragen: How did you feel? Die äußere Form will im knapp bemessenen Probenalltag übergestreift werden. Trotzdem kann Second Hand im Verlauf von Vorstellungsserien First Hand werden.

So manchen Besucher kitzeln allerdings vergangene Bilder. In den 1970er Jahren führte der damalige umtriebige Ballettdirektor Gerhard Brunner den holländischen Meister in Wien ein. Vom Feinsten wurde aufgetischt: die Uraufführung „Grand Trio“ (Schubert), das Frau-Mann-Duell „Twilight“ (Cage), die jazzigen „Lieder ohne Worte“ (Mendelssohn), das neoklassizistische Adagio „Hammerklavier“ (Beethoven). „5 Tangos“ (Piazzolla) kamen 1980. Große Fuge, Bits and Pieces, Black Cake und andere folgten später. Alles keine Weichspülstücke. Es gab sogar reine van Manen-Abende.

Und nun zeigen sie noch einmal aus den Siebzigern, genauer 1975: „Four Schumann Pieces“ zum Streichquartett op. 41 Nr. 3. Kein inhaltlich oder formal angriffiges Werk, sondern vor allem eine tanztechnische Herausforderung für den damaligen herausragenden Solisten des britischen Royal Ballet, Anthony Dowell. Umgarnt wurde dieser von neoklassizistisch agierenden Frauen, die immer wieder aus dem von fünf rosa-hellblau gewandeten Paaren suggerierten fluiden Hintergrund hervortanzen. Davide Dato, im selben Alter wie damals Dowell, 32, dehnt sich in dessen komplexer Haut aus und wird sich wohl während der Spielserie noch besser fühlen.

Dass Hans van Manen, der sich auch dieses Mal verneigte, am 11. Juli 90 wird, mag man nicht glauben. Den gebührenden Feierlichkeiten steuern die Wiener den Schumann Ende des Monats in Amsterdam bei. Dass die Holländer (Het nationale ballet, NDT 1 und 2, Introdans) groundbreaking pieces wie „Situation" von 1970 gerne selbst zeigen, versteht man.

Als Mittelstück des mit dem Übertitel „Kontrapunkte“ versehenen Abends in der Volksoper fungierten „Duets“ von Merce Cunningham aus dem Jahr 1980. Eine komplett neue Bewegungsarchitektur für die Tänzer*innen der sechs, in leuchtfarbene Trikots gesteckten Paare, die sich in John Cages schier endlos antreibender Trommel-Improvisation III in der Einspielung von Peadar und Mel Mercier zurechtfanden, live elektronisch aufbereitet von Béla und Michael Fischer. How do we feel? Ein für die Tänzer*innen gewonnener erster Einblick in die mit Konstruktion von Räumlichkeit, Schwerkraft, Stopps, Atem und Zahlen hantierende Vorstellungskraft des 2009 verstorbenen amerikanischen Meisters. 1964 hatte er im Wiener Museum des XX. Jahrhunderts seine „Event“-Serie begründet. „Duets“ entsprangen einem solchen Event. Cunningham selbst, an seiner Stelle heute der Tänzer in Blau, sowie Karole Armitage und Chris Komar waren Teil der Uraufführung im New Yorker City Center.

Einen weiteren Einblick in die Enzyklopädie des Bühnentanzes gewährte zu Beginn des Abends die famose Anne Teresa de Keersmaeker (62), die seit Beginn ihrer Karriere aus Wiener Sicht durch Erwin Piplits, Szene Salzburg und ImpulsTanz, auch Festwochen und anderen, eine dichte und enge Beziehung zu Österreich hat. Mark Lorimer und Clinton Stringer, die nun Keersmaekers erstes Männer-Stück, „Große Fuge“ (Beethoven, op. 133; das Kammerensemble nun auf der Bühne) aus dem Jahr 1992 einstudierten, sind wie „alte Bekannte“. Die immer noch elektrisierende Roll over- and Get back up-Studie der sieben Herren und einer Dame in schwarzem Anzug gelingt den Wienern durchaus geschmeidig. Die ästhetische Nähe der „Momentum" erprobten Rosas-Tänzer erreicht am ehesten Lourenco Ferreira.

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