"Faust"

"Faust" von Edward Klug

Teufel mit Witz

Edward Clug inszeniert seinen Zürcher Faust mit dem Leipziger Ballett als eindrucksvollen und atmosphärischen Bilderreigen.

Wer ist Knecht, wer ist Meister? Ist es Faust, der den Mephisto für seine persönlichen Begierden einspannt oder führt Mephisto Faust wie den buchstäblichen Pudel an der der Leine, um sein Spielchen mit Menschen und Gott zu spielen?

Leipzig, 07/02/2022

In Edward Clugs Faust-Ballett mit der Musik von Milko Lazar, das nach seiner Uraufführung 2018 in Zürich nun in Leipzig seine deutsche Erstaufführung erlebt hat, ist diese Frage einfach beantwortet. Hier führt Mephisto, manchmal ganz konkret, wenn beide in einem gemeinsamen Kostüm stecken, um in einem ebensolchen Doppelanzug Gretchen und Marthe zu treffen (Kostüme: Leo Kulaš), manchmal symbolisch mit angedeuteten Fäden, die Faust oder andere zum Vollzugsobjekt des Teufelchens werden lassen. Doch dieses Duell der Köpfe braucht eine Weile bis es sich herausschält, besonders im ersten Teil des knapp zweistündigen Abends setzt Clug vor allem auf atmosphärische Massenszenen (mit unterstreichenden Videos von Tieni Burkhalter), die das modern geschulte Leipziger Ballett in seinem ganzen Glanz erstrahlen lassen – fast ganz ohne Spitze.

So wirbelt im ersten Teil des Abend einiges über die Bühne: schwarze und graue Engel zum Start, feiernde Studentinnen und Studenten in Matrosenanzügen oder dunkle Gestalten in der Hexenküche, um den greisen Faust im Rollstuhl wieder in jenen kernigen Haudrauf zu verwandeln, der schließlich im zweiten Teil die Gretchentragödie bestreiten darf. In all dieser Ausgelassenheit schleicht sich Mephisto, getanzt von Marcos Vinicius Da Silva an den verzweifelten alten Mann Faust (Carl van Godtsenhoven) heran, bis sie schließlich in einem Plastikkubus, der gleichermaßen Labor, Kapelle und Zelle darstellen wird, mit Blut den Pakt unterzeichnen (Bühne: Marko Japelj) – eine Szene, die auch den besonderen Humor der Inszenierung unterstreicht, wenn Faust erst wie bei einer Drogeninjektion kompliziert der Arm abgebunden werden muss. Bei der Verwandlung in der Hexenküche wiederum bearbeiten die Ensemble-Mitglieder auf einem Tisch den Faust, und während der Prozedur fällt auf einmal eine junge Tänzerin als Zwischenergebnis aus der Werkbank – wird aber gleich wieder reingesaugt. Zu alledem gibt es die cinematografische Musik von Lazar, dargeboten vom Gewandhausorchester unter der musikalischen Leitung von Matthias Foremny. Akzentuiert und kraftvoll bietet sie ein klares Bild zu den Bühnenvorgängen.

Dominiert im ersten Teil das große Bild gehört die zweite Hälfte ganz dem Kammerspiel der Gretchentragödie. Ein zärtlicher verliebter Faust trifft auf ein zartes und expressives Gretchen (Samantha Vottari), die fast den ganzen Abend in einer Art Unterhemd bestreitet – gleichzeitig arm und unschuldig. Vottari inszeniert dieses Gretchen wie das Opfer eines Vampirs, das mehr und mehr der eigenen Lebensenergie beraubt wird und schließlich von den Häschern von der Bühne gezerrt werden muss. Eine glänzende Leistung.
Faust und Mephisto, diese alte Männerfreundschaft, stehen diesem Verfall eher ungerührt gegenüber. Dies gilt besonders für Mephisto, der noch in die intimsten Momente der Beiden hineinregiert und immer mit großer Verve noch eine Manipulation nachliefert, um seine Ziele zu erreichen und auch Faust mit zirzensischer Größe eher umgarnt denn überzeugt. Marcos Vinicius da Silva tanzt diesen Wolf unter Menschen gleichzeitig leidenschaftlich und kühl, ein agiler Jäger, der sich an seinen Schreckenstaten sehr gut selbst erfreuen kann. Dagegen folgt Carl van Godtsenhoven fast schon einer geradezu naiven Lesart des Fausts, der sich zwar mit Mephisto balgen mag, aber dann doch all seinen Verführungskünsten wehrlos ausgeliefert ist. Er blüht auf in den Pas de Deux mit Gretchen, präsentiert sich in voller, neu gewonnener Kraft des jugendlichen Liebhabers, der sich voll hinein begibt in diese Verliebtheit, um dann aber später doch vor allem seinen Kopf zu retten. Diese Paarentwicklung gehört sicher zu der spannendsten Linie des Abends, denn Vottari und van Godtsenhoven gelingt es zusammen die beiden Figuren hier zu packen und voll auszuspielen.
Das Ende knüpft an den Beginn: Die Walpurgisnacht wird noch einmal zur Szene mit großem Schauwert, bevor Faust und Mephisto in die Nacht enteilen. Ein überwältigender Abend und eine große Leistungsschau des Leipziger Balletts, die zum Premierenabend mit Standing Ovations belohn wurde.

Lesen Sie hier eine Rezension der Uraufführung in Zürich von Marlies Strech.

 

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