"Fusion" bei der Tanzwoche Dresden

Einen Schritt weiter

Tanzwoche Dresden mit dem Thema Inklusion

Die 31. Tanzwoche Dresden überzeugt konzeptionell und künstlerisch bei dieser existenziellen Herausforderung.

Dresden, 04/05/2022

Geht es um Inklusion, so geht es um Zugehörigkeit, um Vermeidung von Ausgrenzung. Darüber sollte es breites Einverständnis geben, vor allem wenn es sich um die Partizipation im Alltag handelt, in Schule und Ausbildung, im Hinblick auf berufliche Chancen und natürlich in der Freizeit. Und in der Kunst? Man ist sicher nicht falsch informiert, wenn man feststellen kann, dass gerade in den Facetten des freien Tanzes schon viele Möglichkeiten verwirklicht werden.

Das Dresdner Festival hat im Grunde schon in den nunmehr 31 Jahren seines Bestehens nie die Grenzen in ausschließlicher Härte gezogen. Noch bevor man es Inklusion nannte, arbeitete man bereits im besten Sinne inklusiv mit Gästen und Kompanien, wie der Wiener Gruppe „Ich bin o.k.“, die sich auf diesem Gebiet schon vor Jahren mit vorausschauender Weitsicht und umfassenden Einsichten zum Tanz, eben als der Kunst, die Dorion Weickmann als „Muttersprache des Menschen“ definiert, bekannten.

In diesem Jahr also galt Inklusion als inhaltliche und künstlerische Voraussetzung für insgesamt 12 Aufführungen im projekttheater, dem Kulturschutzgebiet der Dresdner Neustadt, und mit sechs unterschiedlichen Outdoor-Formaten, sowie einer intensiven, künstlerischen Kommunikation der mitwirkenden Kompanien und Einzelkünstler*innen untereinander, denn für das Finale mit dem Titel „Fusionen“ entstanden fünf festivaleigene Uraufführungen.

Für René Rothe, den künstlerischen Leiter des Festivals, ist es von besonderer Bedeutung, dass es gelungen ist, diese Inklusion auf unterschiedliche Weise zu realisieren. Natürlich im tänzerisch-künstlerischen Zusammenwirken aller Mitwirkender bei ganz unterschiedlichen Einschränkungen, deren Überwindungen im grenzüberschreitenden Tanz die Horizonte der Wahrnehmung sowohl beim Publikum als auch bei den Tanzenden weit zu eröffnen vermag. Grenzüberschreitend ist das Programm dieses Festivals nicht nur im Sinne des Themas, sondern vor allem im Sinne der eigenen Grenzüberschreitung in der Kommunikation der Körpersprache, weit über die Grenzen der Sprache (bei Mitwirkenden aus neun Nationen) hinaus.

Daher gehören für René Rothe Inklusion und Kommunikation aufs Engste zusammen, und dies auch immer wieder, wenn es im ganz direkten Sinne darum geht, einander aufzuhelfen, auch zu erheben, zu tragen, um somit in einen höchst intensiven Dialog des Körpers und der sinnlichen Wahrnehmung einzutauchen. Dann bedeutet Inklusion auch den Mut zur Hingabe.

Das wiederum öffnet vor allem bei den Outdoor-Projekten, an belebten Straßen oder in einem der beliebtesten Parks der Dresdner Neustadt, den Mut zur Improvisation, zur Kommunikation der Tanzenden und der in Bewegung geratenden Zusehenden, was ja auch ganz unterschiedliche Weise von integrierender Kraft sein kann.

Und dass für ein solches Festival mit konzeptionellen Vorgaben dennoch die Bandbreite der Möglichkeiten entscheidend ist, machte am Ende das zehntägige Programm mit insgesamt 20 Veranstaltungen der unterschiedlichsten Art sowohl zu einem künstlerischen als auch immer wieder zu einem kommunikativen Erlebnis. Und dies bei den Ausführenden im Theater, auf der Straße, in den Parks, und den Zusehenden, die letztlich auch im Status der Mitwirkenden agierten. Die Kraft der Zuneigung, sowohl in der Darstellung als auch in der Wahrnehmung, gibt ein wesentliches Fundament für das Gelingen dieser künstlerischen Feier der Inklusion.

Wie das gelingt, lässt sich an Beispielen nachempfinden: Da ist zunächst der Humor, programmatisch zur Eröffnung, die Kompanie SZENE ZWEI mit einem „Musical“ - „NO NAME“. Ein mixed-abled Ensemble tanzt nicht um das goldene Kalb, aber um ein übergroßes Liebestier, einem Monsterteddy, an dem man sich ankuscheln, hinter dem man sich aber auch verbergen kann. Auf dem man sich ausruhen kann nach einem mitunter so wilden wie schrägen Exzess der Bewegungen, bei denen es um das Ausreizen körperlicher Einschränkungen oder das Ausreizen der Versionen einer queeren Identität geht, bei denen die Höhe der High Heels noch das geringste Problem sein dürfte. William Sánchez H. als Choreograf mit sieben Tänzer*innen und dem DJ Josema geht schon mal bis an die Grenzen inklusiver Möglichkeiten, scheut nicht zurück vor schrillen Szenen, um dann immer wieder zu Momenten der Verinnerlichung zu gelangen, auch im Hinblick auf die Möglichkeiten der Kraft des Scheiterns.

Seit Jahren gehört das Format „kurz und gut“ zum Programm der Tanzwoche Dresden. In diesem Jahr sind es sieben Soli, mit denen Facetten der Inklusion auf ganz spezielle Weise in Bewegung gebracht werden. Es geht hier nicht um körperliche Einschränkungen, es geht vielmehr um die eigene Wahrnehmung in Situationen des Ausgeschlossenseins, sich fremd Fühlens, Verunsichertseins, der Einschränkung durch Einsamkeit. Der Tanz löst nicht alle Probleme, aber er öffnet Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen.

Um Einsamkeit geht es dann auch in dem knapp einstündigen Solo, „Der unsichtbare Mann“ des brasilianischen Tänzers und Choreografen Mário Nascimento. Wie der Tanz die Einsamkeit, die Unsichtbarkeit durchbricht, wie eine Klage zum Triumph werden kann, das vermittelt hier auch die Auswahl der Musik, „Sinfonie der Klagelieder“ von Henryk Gorecki. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die musikalischen Konzepte ansonsten nicht immer überzeugen, zu oft, gerade bei den Soli, gehen von den vornehmlich elektronischen Sounds kaum inklusive Anregungen aus. Klänge sollten im Tanz nicht austauschbar werden.

Grégory Darcy mit dem Ensemble „DieTanzKompanie“ ist erstmals zu Gast beim Festival. Dabei sollte es nicht bleiben. Hier folgen, gemäß dem Titel der Produktion alle Tänzer*innen ihren inneren Stimmen. Diese inneren Stimmen brechen sich Bahn, überwinden die Einsamkeit zweier Einzelgänger, lassen die Verständigung kraft der Gebärdensprache in den tänzerischen Dialog übergehen. Keine Scheu vor humorvollen Momenten autistischer Präsenz, so kann man sogar eine dreiköpfige Hydra tanzen lassen. Eine gelähmte Tänzerin wie Sophie Hauenherm kann für die Zeit des Tanzes kraft ihrer inneren Stimme alle Hilfsmittel loslassen und sich auf die überwindende Kraft des Tanzes einlassen. Wenn sie dann von Kolleg*innen zum Applaus getragen werden muss, dann hat das Leben die Kunst eingeholt, aber die Kunst eben auch das Leben.

Ja, so auch im Rückblick ist der Tanz ist wohl doch die Kunst der Integration, der Kommunikation, eben der Inklusion. Und dann gibt es kein Halten, wenn zum Finale sich noch einmal die Mitglieder der Kompanien in einer Abfolge von eigens für diesen Moment erarbeiteten Kreationen im wahrsten Sinne des Wortes in die Feier der Inklusion begeben. Alle anders, alle gleich, das sind Fusionen des Tanzes, und es hätte nur noch einiger Momente bedurft, dann hätte diese Kraft der inklusiven Fusion auch das Publikum erreicht.

Augenblicke der Inklusion durch die Kraft des Tanzes und der künstlerischen Kommunikation als Augenblicke existenzieller Visionen. Die 31. Tanzwoche Dresden ist zu Ende, wer dabei war, auf der Bühne, in der Öffentlichkeit, im Theater, wird vielleicht einen wesentlichen Schritt weiter sein im Hinblick auf mögliche Glücksmomente gelungener Inklusion.   

 

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