"Digital Motion"

"Digital Motion" von Of Curious Nature

Tanz mit Avataren

VR kann nicht nur neue Welten schaffen, sondern den Zuschauer auch aktiv einbinden

In „Digital Motions“ fusionieren Tanz und Technik und betreten damit ein künstlerisches Terrain, in welchem das Publikum eingeladen wird, Tanz im Cyberspace zu erleben und sogar selbst tanzend teilzunehmen.

Bremen, 21/02/2022

Förderprogramme der Bundesregierung haben in der Zeit der Corona-Pandemie viele Künstler*innen aller Sparten herausgefordert, über ihr Schaffen nachzudenken und dabei vor allem neue Wege des Outputs zu suchen. Vieles geht dabei, auch der Lage geschuldet, ins Digitale. Auch der in Bremen ansässige Teil der internationale Tanzcompagnie Of Curious Nature (Bre-men/Hannover) profitierte von einer Förderung durch das Programm von Neustart Kultur, Hilfs-programm tanz digital vom Dachverband Tanz Deutschland.

In dem geförderten Projekt „Digital Motions“ haben Of Curious Nature und das Team der „CyberRäuber – Das Theater der virtuellen Realität“ (Marcel Karnapke und Björn Lengers) aus Berlin zusammen gearbeitet. Die Berliner Pioniere für Virtuelle Realitäten (VR) nutzen in ihren Bühnenstücken digitale Technologien als kreative Instrumente sowie als Instrumente, mit denen das Publikum in die neu erschaffenen Welten eintauchen kann.
Ich lasse mich auf dieses Spiel aus Tanz, Choreografie und Technik ein und bekomme einen Extratermin zur praktischen Einführung. So kann ich bereits vor der offiziellen Präsentation per Streaming eigene Erfahrungen sammeln.

Im Bühnenraum der Bremer Schwankhalle ist ein Bereich mit einer neongrünen Folie ausgekleidet. Am Bühnenrand steht eine lange Tischreihe, überfüllt mit Bildschirmen, technischem Gerät und Unmengen von Kabeln. Mir wird eine VR-Brille auf den Kopf gesetzt. Kaum ist das Programm gestartet, öffnen sich plötzlich Räume, die vorher nicht da waren. Im Hintergrund sehe ich ein Video von dem Stück „Préludes“ von Of Curious Nature, das vor einem Jahr – auch als Teil dieses Projektes – digitale Premiere hatte. Vor mir entdecke ich menschliche Figuren, die sich auf einer Bühne unterhalb meines Standortes an mir vorbei bewegen. Ich verliere ein wenig die Balance. Auch wenn ich weiß, dass ich mit den Füßen auf einem wirklichen, mir bekannten Bühnenboden stehe, spüre ich die Irritation meiner Sinne bis in die Magengegend und bleibe erst einmal wie angewurzelt stehen.

Die Musik ist laut, und ich muss die beiden Realitäten, die nun auf mich wirken, sortieren. Anke Euler, Dramaturgin bei Of Curious Nature, gibt mir Hinweise, was ich nun tun kann und wie es weitergeht. Nach dem Intro verändert sich der Raum, der größer wird und sich auch nach oben, wie in einem Planetarium, zum Himmel öffnet. Um mich herum stehen fünf tanzwillige Avatare, in unterschiedlichen Farben und Strichen gezeichnet. Anke Euler fordert mich auf, sie zu berühren um sie zu aktivieren. Das ist komisch, denn ich kann sie gar nicht berühren, da sie schließlich nicht wirklich sind. Ich strecke die Hand nach einer der Figuren aus und sehe plötzlich meine eigenen Hände als abgeschnittene, leuchtende, virtuelle Körperteile agieren. Mit ihnen streiche ich durch einen Avatar durch. Ich denke an Geister und siehe da, die Figur bewegt sich.

In einer insgesamt zwanzigminütigen Abfolge kann ich alle Avatare in je unterschiedlich phantastischen Kunsträumen aktivieren. Jede Figur hat einen anderen Charakter. Entwickelt wurden diese fünf Typen über fünf Tänzer*innen der Compagnie, deren individuelle Bewegungsmuster in ein Computerprogramm übertragen wurden. Dabei trugen die echten Ensemble-Tänzer*innen einen speziellen Anzug, der mit dem Computerprogramm verbunden war. Jeder Figur wurde dann eine andere Bewegungszeichnung mitgegeben.

Mittlerweile sehe ich als „Mit-Akteurin“, wie ich mit meinen Händen, ähnlich der Avatare, Bewegungen in den Raum zeichnen kann – seien es blaue Bläschen, weißer Nebel, bunte Linien oder grafische Bahnen. So, immer mehr ins Geschehen hineingezogen, kann ich mich den Bewegungen der Bilder und Figuren kaum entziehen und ich beginne sie zu spiegeln. Wenn ich im Besitz einer sogenannten VR-Brille wäre, könnte ich sogar von zuhause aus mittanzen. Immer mehr fühle ich mich selbst wie ein Element eines Computerspiels. Das ist auch gespenstisch. Zunehmend sind meine Sinne durch die vielen Reize angestrengt und die Brille auf meinem Kopf wird schwerer und schwerer.

Am Ende sehe ich alles wie ein verrücktes Spiel in einem spannenden technischen Versuch, wobei jedoch ein einsames Gefühl, wie nach der x-ten Videokonferenz, zurückbleibt. Anke Euler und Helge Letonja von Of Curious Nature beschreiben ihr Projekt in der Streaming-Präsentation als Forschung im Bereich Raum und Körper und erhoffen sich mit der Fusion von Tanz, Theater und Technik neue Chancen in der Tanzvermittlung sowie dadurch ein jüngeres Publikum, andere Communities für den Tanz gewinnen zu können.

Björn Lengers von den CyberRäubern gar hat die Vision, mit Hilfe der digitalen Technologien und ihrer parallelen Welten, existenzielle Fragen anzustoßen. Dennoch sieht er bei aller Tech-nik-Faszination die Notwendigkeit, die Balance zwischen der handelnden Kunst und der techni-schen Experimente zu halten. Gern hätte ich in der von Michael Freundt (Geschäftsführer Dach-verband Tanz Deutschland) moderierten Präsentation auch die beteiligten Tänzer*innen befragt, doch sie waren nicht anwesend.

Ich frage mich, ob es wirklich ein Gewinn für die Tanzvermittlung sein kann, eine schwere Brille zu tragen, um dann mit einem Avatar ein wenig Dancefloor zu zelebrieren. In Bremen gibt es gerade eine 3-D-Präsention zu dem Künstler Van Gogh. Auch hier fragt man sich, was das soll, wo man doch van Gogh-Werke in so vielen Museen betrachten kann. Doch erreicht diese Ausstellung tatsächlich vor allem die Personen, die in ihrem Leben nur wenig Zugang zu Kunst haben. Vielleicht mag die digitale Technik doch auch Menschen für Tanz begeistern, die ansonsten damit keine Berührung haben.

Mir jedoch ist das Erlebnis, Tanz auf der Bühne in Gemeinschaft zu sehen, ein nicht zu ersetzender Genuss. Und in meiner Realität tanze ich am liebsten mit echten Menschen. Ich bin wohl einfach keine Gamerin.

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