"Coppelia"

Seele versus Photoshop

Willkommen in Coppelias „schöner, neuer Welt“

Roboterwelt und vermeintlicher Kitsch à la Walt Disney treffen im animierten Ballettfilm „Coppelia“ aufeinander. Auch wenn diese Kontraste wie abgenutzte Klischees wirken könnten, ist dieses Film-Event mehr als ein seichtes Soapballett.

Starnberg, 07/03/2022
Die Botschaft des animationsreichen Ballettfilms „Coppelia“ - nach dem gleichnamigen Ballettklassiker - ist schlicht wie ergreifend: „Sei du selbst!“ Klar ist, dass es sich bei dieser Leinwandfassung hier nicht um die 1:1 Verfilmung einer Bühnenfassung handelt. Vielmehr ist hier ein modernes Ballettmärchen entstanden mit zeitgemäßer Handlung und mit technischen Effekten und Animationen, das damit nicht nur ein traditionelles Ballettpublikum erreicht. Die Botschaft leicht verständlich, sie zu leben dagegen nicht. Sie ist eine Herausforderung, der wir uns immer wieder stellen müssen.

Für dieses moderne Märchen in Starbesetzung wurden eigens für diesen „Coppelia“- Kinofilm Live-Action (also reale Tänzerinnen und Tänzer) und 3D-animierte Figuren in Beziehung gesetzt. Ted Brandsen, künstlerischer Leiter des „Niederländischen Nationalballetts“ kreierte die Choreografie. Verantwortlich für Regie und Drehbuch sind Jeff Tudor, Steven De Beul und Ben Tesseur. Die Musik entstammt hier nicht wie im Orignalbellett der Feder von Leo Délibes, sondern wurde von Maurizio Malagnini für diesen Kinofilm komponiert.

An der Seite des gewitzt tanzenden Bäckermeisters (Irek Mukhamedov) und der aalglatt dargestellten Bürgermeisterin (Darcey Bussel) tanzt das souverän agierende Corps de Ballet des Niederländischen Nationalballetts. Der diabolisch auftretende Vito Mazzeo ist für Doktor Coppelius besetzt.
Franz, Mädchenschwarm der Stadt, wird in seiner Nonchalance von Daniel Camargo getanzt, der nur Augen für Swanilda, im Film verkürzt auf Swan (Michaela DePrince) hat und diese nur für ihn.

Zur Untermalung des Geschehens, dem idyllischem Leben um Swan und ihre Freunde erklingen heitere Melodien, leichtfüßige Streicherklänge. Den Kontrapunkt dazu bilden die harten, fast hämmernden Cluster der brutalen elektronischer Musik, der „schönen, neuen Welt“ (à la Aldous Huxley) des Dr. Coppelius.

Auch die Farbgebung changiert: Die leuchtenden Farben stehen für das fröhliche, unbeschwerte Leben, vielleicht auch für die Jugend. Wenn Swan von ihrem Franz träumt und sie Beide einen Pas de Deux auf Seerosen tanzen (in weichen Pastellfarbtönen gehalten), erinnert das nicht nur an das Eintauchen in die Welt von „Alice im Wunderland“, sondern man fühlt sich auch an Monets Gemälde „Die Seerosen“ erinnert.

In der Tat liefert die Grundlage die schon 1816 veröffentlichte Erzählung Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann. Das darauf beruhende Ballett Coppélia folgte 1870 und gehört bis heute zum Standardrepertoire der klassischen Ballette. Ursprünglich ging es in der Geschichte um eine Puppe, die mithilfe von Magie zum Erleben erweckt werden soll. Die aktuelle Filmhandlung übersetzt es zeitgemäß: In einer Kleinstadt betreibt Swan eine Saftbar und entdeckt Franz, der eine Fahrradwerkstatt betreibt. Sofort verliebt sich Swan in ihn, auch er erwidert ihre Liebe. Swan und Franz haben viele Freunde und leben ein unbeschwertes Leben, bis der diabolische und größenwahnsinnige Dr. Coppelius mit seiner perfekten Muse Coppelia auftaucht, ein von ihm erschaffenes, makelloses Wesen. Dr. Coppelius' Ziel ist es, eine Schönheitsklinik aufzubauen. Fast alle Bewohner des Städtchens erliegen dem bösen Zauber des herrschsüchtigen Dr. Coppelius, seinem Schönheitswahn, seinem Perfektionismus, seiner Manipulation, der Oberflächlichkeit, der Seelenlosigkeit und der Überwachung. Die meisten Menschen sind von der Idee des Baues der Schönheitsklinik begeistert - vom Bäckermeister bis zur Bürgermeisterin. Nur Swan, Franz und ihre Freunde stehen dem Bau des überdimensionierten, gigantischen Schönheitslabors nicht ohne Grund skeptisch gegenüber. Was dann passiert, ist Krimi pur - und leider nicht nur ein Märchen, wie uns die aktuelle Realität bitter zeigt. Nur so viel sei verraten: das Leinwandmärchen geht gut aus.

Es ist kein Zufall, dass gerade Michaela DePrince für die Rolle der Swan auserkoren wurde, die neben ihrer technischen Perfektion diese Partie auch gestalterisch auf ideale Weise verkörpert, hat sie doch (gerade in der Ballettwelt) am eigenen Leibe erfahren müssen, was Diskriminierung bedeutet.

Dieser fantastisch besetzte Kinofilm lebt von Gegensätzen, von der schauderhaften Welt des Dr. Coppelius und der beschaulichen, friedlichen Idylle von Swan und ihren Freunden. Roboterwelt und vermeintlicher Kitsch à la Walt Disney treffen aufeinander. Auch wenn diese Kontraste vielleicht wie abgenutzte Klischees wirken könnten, so ist dieses Filmevent weit mehr als ein seichtes Soapballett. Es ist die Überzeichnung der Charaktere und der Stilmittel, die in diesem Film überzeugt. Sicherlich wird diese Filmproduktion ihrem eindringlichen Appell unterhaltsam, genre- und generationenübergreifend ein breites Publikum erobern.

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