Ludger Schnieder ist tot
Im Alter von 67 Jahren starb der langjährige Geschäftsführer und künstlerische Leiter des Pumpenhauses in Münster.
Eindrücke von Maciej Kuźmiński und Piotr Mateusz Wach beim Festival umPolen im Pumpenhaus Münster
Sieben Tänzer*innen verteilen sich um die dunkel beleuchtete weiße Tanzfläche im Pumpenhaus. Die einen sind ukrainisch, die anderen polnisch, doch das wir nicht markiert. Zu leichter Klaviermusik gehen sie auf die Fläche in Formation. Weit schwingende Arme, große Schritte, doch immer wieder fällt eine*r raus, bleibt stehen, blickt stumm und leer nach vorne, um sich dann wieder einzufinden. Sie tanzen den Einbruch des Unerwarteten in die Realität, etwas das die Maschine zum Stocken bringt, die aber dennoch weiterläuft, weiterlaufen muss.
Denn ja, es geht in „Every Minute Motherland“ der Maciej Kuźmiński Company um den Krieg in der Ukraine. Doch nicht um den Kampf selbst, sondern um die Trauer. Die Trauerarbeit. Entsprechend löst sich der Abend bald auf in kleinere Einheiten mit kleineren Gruppen. Immer wieder entstehen abstrakte Bilder und Formationen auf der dunkel ausgeleuchteten Bühne: Die Musik wechselt von Klavier mit bellendem Hund zu ukrainischen Folkloresong bis zu fast meditativen Einschüben mit Untertongesang. Dazu üben sich die Tänzer*innen in zumeist schwungvollen, manchmal auch zackigen Bewegungen, erst gegen Ende wird es etwa konkreter. Da steht ein Tänzer im Licht, von hinten greifen ihn Frauenhände, wollen ihn halten, doch er verlässt schließlich die Bühne. Und wir fragen nicht, wohin, weil wir es im Grunde wissen. Gegen Ende nach 60 Minuten dann die Imitation von Schüssen die Körper treffen. Die abstrakte Angst, die abstrakte Trauer, die über allen wie ein Mehltau liegt, wird konkret. Es ist ein Abend, die die Gefühle auf der Bühne lässt, das Publikum zu Zuschauen einlädt zu dieser Meditation zu Trauerarbeit. Es bleibt alles unbegreifbar und ist gleichzeitig unmittelbar berührend.
Ganz anders berührend war Piotr Mateusz Wachs „King the Spirit“, getanzt von Marek Szajnar. Der lässt sich dabei in eine dieser großen Plastikkugel sperren, die zunächst umständlich entfaltet und dann mit Luft gefüllt wird. Szajnar beginnt frohgemut, sich in diesem rollenden Plastegefängnis über die Bühne zu bewegen. Kleine akrobatische Einlagen, dramatisches Zurollen auf die Besucher, alles wirkt zunächst wie ein großer Spaß, während die beiden dunkel gekleideten Helfer (darunter auch Piotr Mateusz Wach) fies grinsend in den Reihen sitzen. Denn nach und nach werden die Bewegungen langsamer, die Kugel beschlägt. Im Hintergrund gibt es derweil romantische Sehnsuchtstexte über Paris als Zentrum des Westens aber auch zu Instagramfollower*innen. Irgendwann ist dann die Luft aus und der arme Szajnar wird aus seinem hermetisch-hermenutischen Käfig befreit. Kurz. Dann beginnt das Spiel von Neuem, auch wenn einige Zuschauer Einspruch erheben. Die zweite Runde ist kürzer, doch Wach kündigt frohen Mutes eine dritte an, lässt das Publikum entscheiden. Politisch gesehen geht es um die Unmöglichkeit des Wegs nach Westens bei gleichzeitigem Einigeln in vermeintlich nationalen Werten, doch der unmittelbare performative Charakter des eingesperrten, schwitzenden, leidenden Körpers überwiegt und macht das Ganze zu einer kleinen, feinen klassischen Körperperformance in der Erfahrungslinie von Marina Abramović.
Zur Séance lud hingegen Piotr Mateusz Wach in seinem anschließenden Solo „Book of Thoth“. Das Publikum sitzt in zwei Reihen gegenüber oder auf Kissen. Gegenüber der Leinwand auf der zu Beginn „Darkest Hour“ von Sevdaliza projiziert wird und gegenüber Wachs Thron, auf dem er seine Audienz halten wird. Er ist ein wenig die poppige Drag-Version einer Wahrsagerin und legt tatsächlich Karten für seine Gäste, wobei das verwendete Tarot-System des „Book of Thoth“ gleichermaßen auf einen altägyptischen Gott wie den Neo-Satanisten Aleister Crowley verweist. Und er legt tatsächlich die Karten, wobei er die Antwort selbstredend zunächst tanzt, bevor er sie erklärt, um sich dann den Mund auszuwaschen. Oder er verkündet zu Discokugel, sphärischen Weltraumaufnahmen und viel Bling-Bling charmant einfache Wahrheiten aus dem Esoterik-Baukasten. Ein großer Spaß, bei dem Wach genauso mit den Erwartungen des Publikums spielt, wie man es auch von „professionellen“ Wahrsager*innen erwartet. Doch Wach ist dabei so charmant ruppig, dass man ihn einfach lieben muss.
Auch auf dem Festival zu sehen, war die Koproduktion von Bodytalk, den Veranstaltern von UmPolen“ und dem Polski Teatr Tańca, das tanznetz bereits zur Uraufführung besprochen hat. Das Festival endet am Samstag mit „Policzalni“ von Teatr Rozbark.
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