Ohne Rüschen und Folklore

Die neuen Wege der Flamenco-Tanzavantgarde

Die Ausstellung „Flamenco Superhéroes de Baile 2.0 Next Generation“ zeigt die traditionsreiche Tanzkultur im Wandel.

Braunschweig, 28/04/2022

Beim Stichwort Flamenco ist es sofort im Kopf: das Klischee von Frauen in langen Rüschenkleidern, die Kastagnetten-klappernd Männer in engen High-Waist-Hosen glutäugig umtanzen. Doch Flamenco ist weit mehr als die im Folklore-Kitsch verharrende Version, an der sich Tourist*innen im Spanien-Urlaub erfreuen. Und es gibt eine ganze Reihe von Tänzerinnen und Tänzern, die sich aus den erstarrten Mustern befreien und neue Wege gehen. Ihnen widmet sich die Ausstellung „Flamenco Superhéroes de Baile 2.0 Next Generation“, die bis Ende Mai in Braunschweig zu sehen ist.

Die „Superhéroes“ sind eine Auswahl international bekannter Tanzgrößen wie Israel Galván, Andrés Marín, Rocío Molina, Belén Maya, Juan Carlos Lérida, Marco Vargas und Chloé Brûlé, José Manuel Ramos „El Oruco“ sowie Eduardo Guerrero. Sie sind dem Aufruf der deutsch-irakischen Flamenco-Tänzerin und Choreografin Alya Al-Kanani gefolgt, die Erneuerung des Flamencos abseits von Festivals und Bühnen einem interessierten Publikum nahezubringen. Anhand selbst gestalteter Themenwände und eines Kurzvideos geben sie einen Einblick in ihre ganz persönliche Sicht auf den modernen Flamenco. 2020 lief die Präsentation bereits erfolgreich in einer Kunstgalerie in Sevilla, der Hauptstadt Andalusiens, wo das Herz des Flamencos schlägt.

Seit den 1990er Jahren befindet sich der Flamenco im Umbruch – als etwa JoaquÍn Cortés mit großen Shows um die Welt tourte und mit nacktem Oberkörper und einer unkonventionellen Mischung aus Modern Dance, Klassischem Ballett und Flamenco das vorwiegend weibliche Publikum begeisterte. Die eingefleischten Flamenco-Aficionados hingegen betrachteten ihn mit kritischer Distanz. Diese Skepsis schlägt auch heute den Tänzerinnen und Tänzern entgegen, die aus dem engen Korsett ausbrechen und ihre eigenen Wege gehen. Umso ambitionierter versucht die Tanzavantgarde, ihre neuen Ideen zu verbreiten und den Staub aus den alten Tanzgewändern zu schütteln. „Ich wollte eine andere Möglichkeit schaffen, einem breiten Publikum den zeitgenössischen Flamenco zu präsentieren“, sagt Alya Al-Kanani. „Und alle, die ich gefragt habe, waren sofort begeistert.“

Zum Beispiel Andrés Marín, der als einer der größten Flamenco-Innovatoren aller Zeiten gilt. Der gebürtige Sevillaner ist Abkömmling einer alten Flamenco-Dynastie und wird von Kritikern auch schon mal gerne als derPicasso des Flamenco-Tanzes“ bezeichnet. Seinen „Don Quixote“ interpretiert er mit feuersprühendem Helm und stollenbesetzten Fußballschuhen. „Ich fand Alyas Idee sofort großartig und sehe darin eine tolle Chance zu zeigen, wie sich die Flamenco-Tanzkultur in den vergangenen Jahren verändert hat und noch immer weiterentwickelt.“

Die Tänzerinnen und Tänzer haben aber nicht nur ihre eigenen Themenwände gestaltet und persönliche Gegenstände als Leihgabe bereitgestellt. Sie überlassen es der Kuratorin auch, wie sie diese als Botschafterin des „neuen“ Flamencos präsentiert – das zeugt von großem Vertrauen und ist eine ungewöhnliche Ehre für die Nicht-Spanierin. Allerdings ist Alya Al-Kanani auch eine Insiderin. Nach einer klassischen Ballett-Ausbildung in Deutschland ging sie nach Madrid und nahm Unterricht an der berühmten Flamenco-Schule „Amor de Dios“. Seitdem hat sie ihr Wissen und ihre Technik in zahlreichen Meisterklassen verschiedener Flamenco-Studios in Madrid und Sevilla erweitert – etwa bei „El Oruco“, Meister des Compás, des speziellen Flamenco-Rhythmus‘ und der komplizierten und kraftraubenden Fußtechnik . Sie ist in Spanien und in Deutschland aufgetreten und zeigte auf Einladung von Juan Carlos Lérida auf dem Flamenco-Festival 2013 in Barcelona ein eigenes Solo-Stück. Sich selbst sieht sie eher als „Beobachterin“. „Dafür ist es auch eher vorteilhaft, dass ich mit den Tänzerinnen und Tänzern zwar befreundet bin und ihre Choreografie gut kenne, aber einen gewissen objektiven Abstand zu der Szene und den manchmal sehr verschworenen Gitano-Clans habe.“

Flamenco, die Fusion aus arabischen, indischen und sephardischen Einflüssen, ist in ihrer Reinform die Kultur der andalusischen Gitanos. Und die sind stolz auf ihre Wurzeln, Flamenco gehört zu ihrem Leben. Eine echte Gitana ist auch Belén Maya. Die in New York geborene spanische Tänzerin und Choreografin klebt allerdings nicht am Althergebrachten fest. Ihr Repertoire umfasst so unterschiedliche Tanzstile wie den klassischen, spanischen und zeitgenössischen Tanz, Flamenco, Modern Dance und indischen Kathak. Diese Neugier und das Zulassen anderer Impulse treibt die Avantgarde voran. „Man kann es vielleicht ein bisschen vergleichen mit der Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich die Ballets russes aufmachten, das angestaubte klassische Ballett zu modernisieren und zu revolutionieren“, sagt Al-Kanani. „Wie so oft, erkennen anfangs nur wenige das umwälzend Neue und lassen sich darauf ein.“

Skandale sind vorprogrammiert, wenn etwa Israel Galván für seine Auftritte einen Sarg als Requisite einbaut oder in Frauenkleidern mit blonder Perücke und geschminkten Lippen das spanisch-katholische Publikum provoziert. Dass seine manchmal verstörende Tanzkunst auf dem Fundament brillanter Technik steht, wird dem Enfant terrible des Flamencos eher im Ausland honoriert. Traditionellen Flamenco-Enthusiast*innen in der Heimat fällt es dagegen oft schwer, sich auf die ausgefallenen Interpretationen einzulassen. Doch auch in Spanien setzt sich die neue Strömung durch, vor allem bei jüngeren Flamenco-Fans.

Die möchte Alya Al-Kanani auch mit ihrer Ausstellung ansprechen – und neue hinzugewinnen. Das Konzept ist interaktiv mit begleitenden Aufführungen sowie der Möglichkeit für die Besucher, Fragen zu stellen, kleinere Bewegungsfolgen selbst auszuprobieren und so mit allen Sinnen mehr über den zeitgenössischen Flamenco zu erfahren. „Deshalb werde ich ständig anwesend sein, erkläre, tanze und möchte aktiv die Freude an dieser besonderen Kunstform verbreiten.“ Als Highlight tritt die Tänzerin am 21. und 22. Mai mit Marco Vargas auf, der dafür die niedersächsische Stadt in seinen Tourneeplan eingebaut hat. Auf dem Programm steht ihre eigene Choreografie „Ver/suchung“, ein Stück, das sich bei jeder Aufführung immer wieder neu entwickelt.

Auch wenn die Ausstellung in Al-Kananis Heimatstadt Braunschweig mit diesem Auftritt ausklingt, ein Ende des ambitionierten Projektes ist das nicht. Denn das „Sevilla Museo de baile Flamenco“ – nach eigenen Angaben einziges Flamenco-Museum der Welt – hat Interesse signalisiert. Museumsdirektor Kurt Grötsch hat die Ausstellung 2020 in Sevilla gesehen und möchte sie dorthin zurückholen. „Das Konzept hat mich mit seiner Qualität und Einzigartigkeit überzeugt und ich möchte es gerne in meinen eigenen Räumen präsentieren“, sagt er. Für die tänzerische Untermalung sorgen dann „Superheroína“ Belén Maya und Alya Al-Kanani gemeinsam.  

 

Die Ausstellung „Flamenco Superhéroes de Baile 2.0 Next Generation“ ist vom 29. April bis zum 21. Mai im KuFa Haus in Braunschweig, Westbahnhof 13, zu sehen.          

 

    

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