"New Creation" von Bruno Beltrao

Auf der Suche nach dem Weg

Premiere von Bruno Beltraos „New Creation“ mit Grupo de Rua auf Kampnagel Hamburg

Was tun in einem Land, das von einem selbstherrlichen Despoten regiert wird? Wohin mit der Wut, dem Protest, der Sehnsucht nach Demokratie?

Hamburg, 09/05/2022

Einen richtigen Titel hat Bruno Beltrao, der international bekannte brasilianische Choreograf, für seine neueste Kreation noch nicht gefunden. „New Creation“ heißt sie deshalb schlicht. Und so bleibt man als Zuschauer*in gänzlich unbeeinflusst von irgendwelchen Erwartungen und Vorstellungen. Das tut dem Stück gut – denn es ist gerade diese unvoreingenommene Neugier, die einen durch die gut einstündige Vorstellung trägt.

Sie beginnt leise und tastend, indem erst einmal drei Personen sich einen Weg suchen über die Bühne, die nur von Scheinwerfern begrenzt wird und gänzlich befreit ist von jeglichen anderen Utensilien. Nackt und bloß ist die Szenerie und spiegelt damit das Gefühl vieler Menschen in Brasilien angesichts des Rechtsrucks in der Regierung, seit der rechtspopulistische Jair Bolsonaro 2018 dort Präsident geworden ist. Die Suche endet im Nichts – das Licht blendet abrupt ab. Und es folgt die nächste Gruppe, gekleidet in schwarze oder weiße sackähnliche Kleider oder weite Oberteile und Hosen, nur eine Frau trägt Rot. Einzeln oder zu mehreren versuchen sie, eine Orientierung zu finden, begleitet von leisen Klängen, die eben diese Suche in der Musik aufgreifen.

Und so reihen sich die Bewegungssequenzen aneinander. Die acht Tänzer und zwei Tänzerinnen gleiten über die Bühne, sie rutschen und kreiseln, oft isoliert, mehr oder weniger beziehungslos, scheinbar unbeholfen, geknickt. Es ist gerade diese zurückgenommene Bewegungssprache, die beeindruckt und berührt – kennt man doch Bruno Beltrao als Meister der Kombination aus Hip-Hop und Streetdance mit einem Schuss modernen Tanzes.

Diese Meisterschaft entfaltet er allerdings im weiteren Fortgang des Stückes dann doch noch. Immer wieder blitzt die Virtuosität der Tänzer*innen schlaglichtartig auf. Einer der Höhepunkte ist eine Vierergruppe von Männern, die sich im Handstand wie Statuen ohne Kopf über die Bühne bewegen, immer wieder stürzend und fallend, um sich dann erneut geschmeidig wieder hochzuschrauben und weiterzugehen.

Plötzlich wird die vorwiegend abgedunkelt gehaltene Szenerie in gleißendes Licht getaucht, steigert sich die Aggression im Tanz und ebenso in der Musik bis hin zu einem fulminanten Schlagzeug-Solo. Das ist Schmerz und Kraft, Auseinanderdriften und Zusammenkommen, Rempeln und Schubsen und Aneinanderschmiegen. Wie auf Schienen gleiten einzelne Tänzer in der Hocke danach von links nach rechts, von rechts nach links, wie ferngesteuert. Bis sich alle vereinzelt in den Seitengassen verlieren.

Und so bietet Bruno Beltrao mit seinen zehn brillanten Tänzer*innen keine einfache Lösung aus dem Konflikt, in dem Brasilien derzeit lebt mit seinem autoritären Präsidenten, der den Regenwald so brutal abholzen lässt wie noch niemand vor ihm. Der das Volk bevormundet und die sozialen Konflikte nur noch weiter anheizt. Bruno Beltraos Choreografie spiegelt die Suche nach dem Weg aus diesem Schlamassel, und das auf ungemein eindrückliche und im Gedächtnis bleibende Art und Weise.

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