„Lasst euch nicht zum Opfer machen!“

Serge-Aimé Coulibay im Interview mit Arnd Wesemann

„Umgekehrter“ Rassismus, den schwarze Tänzer in Europa erfahren: Serge-Aimé Coulibay, Leiter der Kompanie Faso-Danse in Burkina Faso, spricht über das Gefühl erneuter Kolonialisierung Afrikas und den verbrannten Bodensatz der Welt.

Burkina Faso, 14/03/2022
Von Arnd Wesemann

In Burkina Faso ist Serge-Aimé Coulibalys ein König. Im Jahr 2002, kurz nach Gründung seiner Faso Dance Company, stand er mit den Größten auf Europas Bühnen: bei Alain Platel (in „Wolf“, 2003), bald darauf mit Sidi Larbi Cherkaoui (in „Tempus Fugit“, 2004) und er erhielt viel Hochachtung, als er mit Aborigines der Marrukegu Company in Australien arbeitete (etwa in „Burning Daylight“, 2009). Er stammt aus Bobo-Dioulasso, hat hier in Burkina Faso ein eigenes Theater errichtet, auch, um Talente in seiner westafrikanischen Stadt zu fördern.
Im Interview erzählt er, an seinen Nachwuchs gerichtet:

„Lasst Euch nicht zum Opfer machen. Denn genau das ist die europäische Sicht auf uns. In Wirklichkeit macht sich doch niemand selbst zum Opfer. Jeder tut, was er kann, um es nicht zu sein. Aber sobald es um das Verhältnis zu Europa geht, ist die Opferrolle schon in uns eingeschrieben. Weil wir den Europäern nicht helfen. Es ist Europa, das unbedingt helfen will, angeblich ohne etwas von uns zu nehmen. Genau das stellt uns als Opfer dar. Damit werden wir erneut kolonialisiert, als arm und als unterdrückt hingestellt von finsteren Mächten auf einem Kontinent, der überzogen ist von blutigen Kriegen um unsere eigenen Bodenschätze. Wir armen Afrikaner sind noch dazu auch noch schwarz …“

Er lacht. Und ich frage, was so falsch sei an der Hilfsbereitschaft. Er antwortet:

„Wahr ist, willst du in Afrika oder Europa eine Firma mit vielleicht zehn Angestellten gründen, hilft dir niemand. Zeigst du denselben Leuten hungernde Kinder, sind auf einmal tausend Europäer bereit, Geld zu spenden. Natürlich hat das Auswirkungen auf unsere Beziehungen zu Europa. Wir Afrikaner sind ja nicht blöd. Also spielen wir die Karte. Aber sie hat nur wenig mit unserer Realität zu tun. Diese Karte ist eine postkoloniale Inszenierung, die uns Europa vorspielt.“

Ob er diese Inszenierung als ein spezifisch europäisches Problem empfinde?

„Europäer sehen gerne schwarze Männer, den kräftigen Muskelbau, besonders im Tanz. Ich glaube an die Ausbeutung dieses männlichen Körpers als eine Variante rassistischer Eifersucht: Es gibt die erotische Projektion der Weißen auf den schönen Sklaven. Daran ist nichts zu rütteln: Der afrikanische Körper unterliegt einfach einem sexuellen Phantasma. Deshalb tragen wir auf der Bühne immer Kleider und achten sehr darauf, den Körper nie wie ein erotisches Objekt zu zeigen. Selbst wenn ich traditionelle Tanz-Elemente benutze: Immer muss ich diesen erotischen Blick der Anderen mitbetrachten. Ich will global verständlich sein, nicht sexy und exotisch wirken. So was wollen nur all diese Solidaritätsvereine für Afrika sehen. Aber ich inszeniere meine Stücke gegen das Vorurteil, dass wir Schwarzen so etwas wir der verbrannte Bodensatz der Welt sein sollen. Genau genommen sind wir doch eher der Bodensatz der Geschichte, falls es stimmt, dass die gesamte Menschheit aus Afrika stammt. Natürlich glauben diejenigen alle Klischees über uns, die in Birmingham oder Brüssel nicht mal den leisteten Schimmer haben, wo sich Burkina Faso überhaupt befindet. Die waren nie dort. Noch schlimmer aber sind die Expats aus Afrika, die in Europa leben, die ihr reines Afrika von einst sehen und nicht wahrhaben wollen, dass Afrika genauso wie Europa von derselben globalen Wirklichkeit geprägt ist. Schlimmer sind nur noch die Theaterleiter, die glauben, im Namen ihres Publikums zu sprechen, um zu behaupten, meine Stücke wären viel zu europäisch. Ich frage zurück: Was ist denn europäisch? Ordnung, sagte mir einer. Ist Afrika wirklich die wilde Unordnung?“

Das Gespräch ist Teil einer aktuellen Tanzreportage aus Burkina Faso, zu finden auf www.tanz.dance.

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