"Jungle Book Reimagined" von Akram Khan Company

Im finsteren Dschungel

Premiere im deutschsprachigen Raum: Die Akram Khan Company mit „Jungle Book Reimagined“ im Festspielhaus St.Pölten

Die Zuschauenden ereilt eine mächtige Bilder-Ton-Flut, die sich vorwärts wälzt. Die den Begriff Gesamtkunstwerk beanspruchende Produktion könnte noch einen Rundum-Schliff vertragen.

St. Pölten, 10/05/2022

Mit dem künstlerischen Re-Imaginieren von bekannten Stoffen ist das so eine Sache. Meist geht es um eine Art „update“, dramaturgische Stringenz ist da gefragt. Im aktuellen Fall des natürlich attraktiven „Dschungelbuchs“, einem Klassiker nicht nur der Kinderliteratur, ist vielen vor allem Walt Disneys Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1967 in Erinnerung: eine wirksam verkitschte Fassung nach der ernsten Vorlage von Rudyard Kipling. Im besten Fall schwimmen Re-Imaginationen mit aktualisierten Gedanken auf der Folie des erfolgreichen Bekannten.

Der 1974 in London geborene Tänzer und Choreograf Akram Khan, der durch eine virtuos-erfindungsreiche Fusion aus indischem Kathak und zeitgenössischem westlichen Tanz bekannt geworden war, hatte selbst im Alter von zehn Jahren als Mowgli auf der Bühne gestanden. Seine angelegte Re-Imagination des „Dschungelbuchs“, die nun im April im britischen Leicester herausgekommen ist, durchsetzt er mit der drohenden Klimakatastrophe. Im Programmheft des Festspielhauses St. Pölten, einem der zahlreichen Koproduzenten, wird Khan zitiert: „(. . .) die Hauptursache dieses Dilemmas ist, dass wir die Verbindung zu unserer Heimat, zu unserem Planeten verloren haben. Wir alle bewohnen die Erde, nehmen von ihr, bauen auf ihr, aber wir haben vergessen, ihr unseren Respekt zu erweisen.“ Aus der Kipling-Vorlage zieht Khan darüber hinaus die „Lektionen“ über die Gemeinsamkeiten zwischen den Arten, über die Abhängigkeit zwischen Mensch, Tier und Natur und über den Sinn für Familie.

Mowgli ist in Khans zeitbewusst angelegtem Fall ein Mädchen, das Opfer des steigenden Meeresspiegels wird und in der Tierwelt einer menschenentleerten Stadt landet. Dort häufen sich die bekannten Ereignisse, die vor allem vom animierten Videodesign von Adam Smith und Nick Hillel, dem Sounddesign von Gareth Fry und von einer intensiven, eingespielten Sprechkaskade (Text von Tariq Jordan) dominiert werden. Letztere wurden von den Tänzer*innen ursprünglich lippensynchron eingelernt um den Gehalt tatsächlich in den Körper zu kriegen. Trotzdem bleibt genug hörbarer Text (mit teilweiser Übersetzung), der im zweistündigen Verlauf (mit einer Pause) überhand nimmt und den nahezu kuriosen Effekt zeigt, dass eine Khan-Produktion trotz der herausragenden Tänzer*innen und den technisch behenden Mitteln inszenatorisch schwerfällig daherkommt. Zeitbezüge wie etwa die gezeichnete Szene mit Mowglis Mutter, die ihrem Kind das Töten von Tieren für überlebensnotwendig erklärt, das Mädchen aber antwortet, lieber nur das zu essen, was von den Bäumen fällt, sind sympathisch.

Wenn die eindringlichen Animationen verschwinden, mit denen das Ensemble interagiert, schieben sich Präzision und Energetik der Tänzer*innen so richtig in den Vordergrund. Unter Anderem sind es athletische, tierähnliche Moves, die das Team in einer schieren Vielfalt beherrscht. Allerdings kommt die Tänzerin der Mowgli kaum ins Licht, der Bär Baloo spielt seine Paraden aus, auch die Pantherin Baghira und die Schlange Kaa, die sich als mehrgestaltiger Schachtelwurm geriert, sind klar erkennbar. Insgesamt ereilt den Zuschauenden eine mächtige Bilder-Ton-Flut, die sich vorwärts wälzt. Das letzte erinnerte Bild mit Mowgli, wieder allein auf einem Floß, kommt abrupt; dann Dunkelheit, Ende. Es hat den Anschein, als könnte die den Begriff Gesamtkunstwerk beanspruchende Produktion noch einen kräftigen Rundum-Schliff vertragen.

Starker Applaus für das Tänzer*innen-Ensemble: Lucia Chocarro, Tom Davis-Dunn, Thomasin Gülgec, Max Revell, Matthew Sandiford, Pui Yung Shum, Fukiko Takase, Holly Vallis, Vanessa Vince-Pang und Luke Watson.

 

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