Corona. Und dann? Ein tanzjournalistisches Projekt

Interview-Reihe zum Förderprogramm DIS-TANZ-SOLO: Deike Wilhelm, Tanzjournalistin

Deike Wilhelm hat die Förderung für ein tanzjournalistischen Projekt genutzt, das sich mit der Neuausrichtung der Tanzwelt durch die Pandemie beschäftigt und im Zuge des Relaunches von tanznetz.de ab April veröffentlicht wird

Im vergangenen, von der Corona-Pandemie geplagten Theaterjahr unterstützte das Förderprogramm DIS-TANZ-SOLO vom Dachverband Tanz Deutschland e. V. als Teil des HILFSPROGRAMMS TANZ / NEUSTART KULTUR soloselbständige Tanzschaffende. In einer Interviewreihe befragt tanznetz.de einige Künstler*innen, deren künstlerische Projekte im Rahmen dieses Programms gefördert wurden, zu ihren Erfahrungen mit DIS-TANZ-SOLO. Wie bewerten sie den Nutzen und die Nachhaltigkeit der Förderung? Und welchen Stellenwert nimmt diese für das künstlerische Schaffen in Zeiten der Pandemie ein?

Deike, was war Deine Idee für DIS-TANZ-SOLO?

„Tanz im Wandel – Tanz nach der Pandemie“ ist ein tanzjournalistisches Projekt, das sich mit den Veränderungen der Tanzwelt unter anderem durch die bald zwei Jahre dauernde Pandemie beschäftigt. Hierzu habe ich Interviews mit sehr unterschiedlichen Tanzschaffenden in Deutschland geführt, um so einen umfassenden Blick auf die stark durch Corona betroffene Branche zu werfen. Mich hat dabei maßgeblich die Frage beschäftigt, ob der gesamtgesellschaftlich erkennbare Wandel auch in der Tanz-Welt zu beobachten ist und inwieweit die Auswirkungen der Pandemie auch zu neuen Perspektiven geführt haben. Ich sprach darüber mit sehr unterschiedlichen Akteur*innen: mit jungen und erfahrenen Tänzer*innen, mit Choreograf*innen, Ballettdirektor*innen, Pädagog*innen und politisch aktiven Netzwerker*innen. Diese Gespräche werden ab März 2022 auf www.tanznetz.de veröffentlicht. Darüber hinaus beleuchte ich in einem allgemeinen Text über „Tanz im Wandel“ die wichtigsten Aspekte aus meinen Gesprächen zur Situation, zu Veränderungen und Perspektiven in der Tanzbranche.

Warum hast Du dieses Förderprogramm gewählt?

Ich arbeite bereits seit vielen Jahren als solo-selbständige Akteurin in sehr unterschiedlichen Funktionen im Tanz- und Theater-Bereich. Dadurch habe ich gelernt, umfassend auf die Herausforderungen und Perspektiven von Tanzschaffenden zu blicken. Diese Fähigkeit möchte ich in den Tanzjournalismus einfließen lassen. So schreibe ich seit einigen Jahren bereits für das Bayerische Junior Ballett München und auch für www.tanznetz.de. „Vor Corona“ fehlte mir jedoch aufgrund zahlreicher Projekte die Zeit, mich intensiv als Tanzjournalistin zu positionieren. DIS-TANZ-SOLO bietet nun im Vergleich zu gewöhnlichen Förderprogrammen die einmalige Chance, solche Entwicklungs- und Umorientierungsprozesse in der Karriere zu begleiten. Das Programm fördert – losgelöst von Produktionen, die auf der Bühne gezeigt werden – die in künstlerischen Berufen so wichtige Arbeit der Reflexion, des Archivierens und des Umorientierens. DIS-TANZ-SOLO gibt mir somit die Gelegenheit, meine umfangreiche praktische Erfahrung in der Branche in Zukunft auch als Tanzjournalistin einzubringen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Was hat die Förderung speziell in den hochpandemischen Zeiten für Dich bedeutet? Finanziell und inhaltlich?

Die Zusage gab mir schon vor Projektbeginn eine konkrete Perspektive und ein berufliches Ziel. Im künstlerischen und kulturellen Umfeld arbeiten wir ja sinnstiftend. Wir sehen einen Sinn in dem, was wir tun, glauben an die Kraft von Kunst und Kultur. Umso schwieriger also war das Wegbrechen von Perspektiven für uns alle. Insofern bin ich sehr dankbar, dass ich dank der Förderung eine selbst gewählte Aufgabe umsetzen konnte, an der ich beruflich gewachsen bin. In diesen Pandemiezeiten, die mit so viel Unsicherheit und Unplanbarkeit verbunden sind, ist solch eine konkrete Perspektive ein wertvolles Geschenk. Auch finanziell gab es eine gewisse Planbarkeit und Ruhe für die letzten vier Monate des Jahres 2021.

Stehen Antragsaufwand und Nutzen im richtigen Verhältnis?

Für mich war das Antragsprozedere sehr sinnvoll, musste doch gleich zu Beginn ein schlüssiges Konzept entwickelt werden, das mir in den letzten vier Monaten als Arbeitsleitfaden diente. Verglichen mit anderen Förderanträgen war der Aufwand weniger komplex und sehr viel zielorientierter. Die einzureichenden Arbeitsbeispiele und Dokumente wie Lebenslauf etc. erschienen mir im Zusammenhang als nachvollziehbar und sinnvoll. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Projekt während der Antragsstellung habe ich persönlich somit als sehr nützlich für die konkrete Durchführung des Projekts empfunden.

War der Förderzeitraum ausreichend, um Dein Projekt abzuschließen bzw. zu wirklicher Vertiefung zu gelangen?

Tatsächlich hätte ich mir noch zwei weitere Monate für meine Arbeit gewünscht, die ich mir nun auch nehmen werde. Als ich mit der konkreten Arbeit an den Texten begann, stellte ich fest, dass das ursprünglich geplante Thema an die veränderte Realität und den gesamtgesellschaftlich erkennbaren Wandel angepasst werden musste. Anders als ursprünglich geplant, wollte ich weniger auf den Umgang der Tanzschaffenden mit den Lockdown-Maßnahmen eingehen, sondern vielmehr den Blick in die Zukunft lenken, die Probleme und auch die positiven Auswirkungen der Pandemie auf die Tanzbranche beleuchten. Somit musste ich das Thema konzeptuell neu greifen. Da ich alle Interviews mündlich führen wollte, war die Terminfindung komplexer als gedacht und der Zeitaufwand erheblich. Ein Großteil der Interviews ballte sich im Dezember, so dass ich noch immer mit der Verschriftlichung und dem Redigieren beschäftigt bin. Hinzu kamen die unplanbaren Hürden der Pandemie: eine vierzehntätige Quarantäne mit Kleinkind zuhause, Quarantäne von Interviewpartner*innen und coronabedingte Engpässe bei der Betreuung meiner Tochter führten dazu, dass ich zeitweise nicht ganz so intensiv an meinen Interviews und Texten arbeiten konnte. Glücklicherweise kann ich mir aber auch noch die Zeit nehmen, das Projekt schlüssig abzurunden, so dass ich zuversichtlich bin, meine Text- und Interviewserie wie geplant ab März 2022 veröffentlichen zu können.

Wie nachhaltig findest Du Dein Projekt? Kannst Du jetzt noch davon profitieren?

Ich durfte sehr inspirierende Gespräche mit hoch interessanten und renommierten Tanzschaffenden führen und konnte dadurch meinen Blick auf die Tanz-Branche um ein Vielfaches erweitern und vertiefen. Die aufschlussreichen Gespräche mit Künstler*innen über ihre Arbeit, über kollektive Initiativen und die politische Arbeit im Bereich Tanz haben mir zu einem vielschichtigen Blick auf die Tanzbranche verholfen, der mir sowohl als Tanzjournalistin als auch in anderen Funktionen in dieser Branche zugutekommen wird. Darüber hinaus habe ich insbesondere enorm von der unsichtbaren Recherchearbeit profitiert. Ich konnte mein Wissen durch eine breite Recherche über gesamtgesellschaftliche Trends, über vergangene und aktuelle Themen und Persönlichkeiten in der Tanzwelt erweitern, so dass ich mich gut gewappnet für fundiertes journalistisches Arbeiten in diesem Bereich fühle. Da meine Textserie voraussichtlich im März 2022 im Zuge des Relaunch der Website von www.tanznetz.de veröffentlicht wird, gehe ich davon aus, dass die Texte eine breite Öffentlichkeit erreichen werden und mir so die Gelegenheit geben, mich in Zukunft weiter als Tanzjournalistin positionieren zu können.

Würdest Du anderen Künstler*innen oder Tanzschaffenden eine Bewerbung bei dieser Förderung empfehlen?

Ich würde die Förderung denjenigen Künstler*innen oder Tanzschaffenden empfehlen, die sich mit etwas mehr Zeit und Ruhe einem konkreten Projekt widmen wollen, das – anders als sonst bei Förderungen üblich – keine Premiere verlangt, sondern der eigenen beruflichen Entwicklung dient. Diese Momente des Innehaltens benötigt letztlich jede*r, der oder die im kulturellen Bereich arbeitet – im besten Falle mehrmals im Berufsleben. Von daher würde ich eine Bewerbung allen ans Herz legen, die ihren bisherigen beruflichen Weg bestärken oder neu ausrichten wollen. Diese Förderung ist eine große Chance, die es bisher so noch nicht für Kulturschaffende in Deutschland gab.

Was bedeutet der Begriff „Distanz“ – DIS-TANZ – für Dich?

Distanz ist für mich die empfundene Entfernung zwischen Menschen oder Orten. Für mich ist sie nicht gleichbedeutend mit einer örtlichen Entfernung, denn ich fühle mich auch Menschen nahe, die überall auf der Welt verteilt leben. Vielleicht hängt Distanz, also eine empfundene Entfernung, auch damit zusammen, dass wir uns mit der anderen Person nicht auseinandersetzen können oder wollen. Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass wir im gegenseitigen Austausch immer Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen entdecken können. Bedauerlicherweise fehlen uns momentan gemeinsame Momente mit anderen Menschen – nur so kann ich mir die zu beobachtende Spaltung in der Gesellschaft erklären. Es fehlt der wirkliche Austausch von Mensch zu Mensch, die Möglichkeit, trotz aller unterschiedlicher Ansichten das Verbindende, das zutiefst Menschliche im anderen zu entdecken. Distanz kann überwunden werden durch ein gemeinsames Ziel oder durch ein gemeinsames Brennen für eine Sache. Auch ein kollektives Erlebnis, wie beispielsweise eine Tanzvorstellung, verbindet Menschen miteinander. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Tanz – gemeinsames Tanzen oder gemeinsames Erleben von Tanz auf der Bühne beispielsweise – die Kraft hat, Brücken zwischen Menschen zu schlagen. Tanz ist ohne Worte vollkommen. Im Tanz sind wir alle einfach menschliche Körper. Tanz birgt die einmalige Gelegenheit in sich, uns durch Bewegung glücklich zu machen. Die eigene Zufriedenheit wiederum verbindet uns mit anderen Menschen.

Deike Wilhelm

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